Islamischer Kuturverein Bochum e.V.

MOSCHEEBAU

Die Geschichte des Propheten Muhammad (s)

la ilaha illa llah

 

Die Sira (Biographie) des Propheten Muhammad (s) in 26 Teilen

von Mohamed Laabdallaoui

Muhammad (s) prägte die Menschheitsgeschichte wie kaum ein anderer einzelner Mensch. 571 n. Chr. in einer politisch und zivilisatorisch unbedeutenden Region dieser Welt geboren und 610 zum Propheten berufen, hatte er bei seinem Tod 632 das Gesicht Arabiens grundlegend umgestaltet - und eine Botschaft verkündet und vorgelebt, die in kurzer Zeit nach ihm die bis dahin bekannte Welt unumkehrbar verändern sollte. Heute ist er immer wieder Entzündungspunkt heftiger Diskussionen und schwieriger Missverständnisse.

Doch wer war dieser Prophet?

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[item title="Teil 1 - Die frühe Kindheit Muhammads"]
Das Jahr 53 vor der Hijra (v.H.) war für Mekka ein bedeutsames Jahr: Da war zunächst der versuchte Angriff des Jemen, das damals zum Herrschaftsgebiet des christlichen Abessiniens gehörte. Dem abessinischen Statthalter Abraha ging es um nichts Geringeres als um die Zerstörung der Ka’ba, des höchsten Heiligtums der Araber. Das zweite Ereignis, das bis heute von prägender Bedeutung für die Stadt geblieben ist, war die Wiederentdeckung der Quelle von Zamzam, die nach einem lange zurückliegenden Krieg verschüttet und seither beinahe vergessen worden war. Der Brunnen, der bis heute die gesamte Stadt und ihre Millionen Pilger mit reichlich Wasser versorgt, ist im bildlichen Sinne seither die Lebensader der von lebensfeindlicher Wüste umgebenen Stadt.

Das Jahr des Elefanten

In diesem „Jahr des Elefanten“, so benannt nach dem Heer des Abraha, in dem Elefanten eingesetzt wurden, am 9. des Monats Rabi’ Awwal, kam Muhammad bin (Sohn des) Abdullah bin Abd al-Muttalib zur Welt. Nach christlicher Zeitrechnung war es im April des Jahres 571. Nicht nur vor dem Hintergrund der genannten Ereignisse war die Geburt Muhammads nur für seine Familie ein Ereignis von Bedeutung, auch wenn der Volksglaube von einer Vielzahl wundersamer Erscheinungen berichtet.

Mekka war eine bedeutende Handelsstadt. Ihre Gesellschaft bestand aus verschiedenen Stammesverbänden. Muhammads Großvater Abd al-Muttalib war ein angesehener Mann seines Stammes und einer der politischen Oberhäupter der Stadt. Sein Vater Abdullah starb sehr jung, noch vor der Geburt seines Sohnes. Auch seine Mutter Amina erlebte Muhammad nicht mehr lange. Sie verstarb, als er sechs Jahre alt war. Muhammad war das einzige Kind von Abdullah und Amina.

In Mekka war es Brauch, dass die Familien, die es sich leisten konnten, ihre Söhne bald nach der Geburt zu Milchmüttern aufs Land schickten, um dort in gesunder Umgebung aufzuwachsen. Für die Milchmütter war die Aufnahme der Kinder vor allem eine Erwerbsquelle. Daher waren bei ihnen jene Kinder am begehrtesten, die besonders reiche Eltern hatten. So war es auch bei Halima aus dem Stamm der Banu Sa’d. Die anderen Frauen waren ihr jedoch zuvorgekommen, und es war nur noch das Waisenkind des Abdullah übrig geblieben. Sie nahm ihn schließlich nur an, um nicht mit leeren Händen zurückzukehren. Das war in den ersten Wochen seines Lebens.

Vier Jahre in der Obhut von Halima

Aus den anschließenden vier Jahren in Banu Sa’d kennt die Überlieferung sehr viele wundersame Geschichten, die vom ungewöhnlichen Milchreichtum der Halima über reichhaltige Tierzuchterträge bis zur Begegnung mit einem Engel, der Muhammads Brust öffnete und sein Herz reinwusch. Jedenfalls muss sein Aufenthalt bei der Familie für die Eltern und die Kinder eine segenreiche Zeit gewesen sein, ganz anders als Halima zunächst befürchtet hatte, denn nach den üblichen zwei Jahren bat sie seine Mutter so lange, ihn noch länger bei ihr zu lassen, bis sie zustimmte.

Nach seiner Rückkehr mit vier Jahren war Muhammad zunächst bei seiner Mutter. Er verbrachte fast zwei Jahre bei ihr und im Umfeld der Großfamilie seines Großvaters. Einmal nahm ihn seine Mutter mit auf eine Reise nach Yathrib, dem späteren Medina, wo sie ihre Familie und das Grab ihres Mannes besuchte. Auf der Rückreise verstarb sie und ihre Sklavin Baraka, die mitgereist war, brachte ihn nach Mekka zurück. Damals war er sechs Jahre alt. Danach nahm ihn sein Großvater Abd al-Muttalib zu sich. Nach dessen Tod zwei Jahre später nahm ihn sein Onkel Abu Talib in seine Familie auf. Hier sollte er bis zu seiner Hochzeit bleiben.

Nach den verschiedenen Überlieferungen über diese Zeit zu urteilen, muss Muhammad trotz des frühen Todes seiner Eltern eine glückliche Kindheit gehabt haben. Auf dem Land bei Banu Sa’d, wo auch sein gleichaltriger Onkel und Spielkamerad Hamza bei einer Milchmutter untergebracht war, galt er als das Geheimnis des ungewöhnlichen Wohlstands der Familie, dann die zwei Jahre bei seiner Mutter und ihrer ebenso liebevollen Sklavin Baraka, weitere zwei Jahre bei seinem Großvater und schließlich bei seinem kinderreichen Onkel, die ihn beide für ein besonderes Kind hielten. In all der Zeit war er immer mit vielen Kindern zusammen: seine Milchgeschwister auf dem Land und seine Vettern und Basen in der Großfamilie, darunter Hamza, um den er viele Jahre später bei seinem Tod viel weinen würde, Jaafar, sein ebenfalls fast gleichaltriger Vetter, den er liebte wie seinen Bruder, und Umm Hani, seine Base, die er noch in fünfzig Jahren immer wieder gerne auf ein familiäres Stündchen besuchen würde.  
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[item title="Teil 2 - Muhammad vor der Berufung"]
Abu Talib, der Onkel Muhammads, bei dem er seit seinem achten Lebensjahr als Vollwaise aufwuchs, war nicht reich und hatte viele Kinder. Muhammad erkannte sehr früh seine wirtschaftliche Situation und versuchte noch als Kind, etwas zum Lebensunterhalt zu verdienen. Vor allem hütete er Schafe für die reicheren Leute der Stadt. Auch von einer Geschäftspartnerschaft mit einem Freund wird berichtet. Als Zwölfjähriger nahm ihn seine Onkel mit auf eine Geschäftsreise nach Syrien. Einige Jahre später ging er selbständig im Auftrag der angesehenen Geschäftsfrau Khadija auf eine solche Karawanenreise.

Muhammad unternimmt seine ersten Geschäftsreisen

Diese beiden Reisen spielen in der europäischen Orientalistik eine sehr große Rolle. Hier soll er christlichen Geistlichen begegnet sein, die sie gerne als für Muhammad prägende Erlebnisse betrachten, die die von ihnen so christliche Inspiration seiner Verkündung erklären. Die wenigen Überlieferungen berichten jedoch vor allem von einer Begegnung mit einem asketischen christlichen Einsiedler namens Bahira auf der ersten Reise. Glauben wir den Berichten, dann hat sich Bahira bei diesem kurzen Besuch vor allem mit seinem Onkel und den anderen Männern der Karawane unterhalten. Dabei soll er auch eine prophetische Zukunft des Jungen vorausgesagt haben. Die zweite Reise war für ihn in erster Linie eine berufliche Unternehmung, die er mit großem Verantwortungsbewusstsein und kaufmännischem Geschick ausführte. Khadija hatte ihren alten Sklaven mit ihm geschickt, der ihr viel von ihm erzählte. Sie soll damals geschieden und vierzig Jahre alt gewesen sein. Vielleicht war sie aber auch jünger. Jedenfalls erwies sich Muhammad für sie als vertrauenswürdig, fähig - und liebenswürdig. Es dauerte nicht lang und sie machte ihm einen Heiratsantrag, den er ohne Zögern annahm.

Khadija (Khadidscha)

Sie verbrachten zusammen eine glückliche Ehe. Ihr gemeinsames Leben dauerte 26 Jahre. Nach ihrem Tod, als er andere Frauen heiratete, würde er immer wieder mit großer Liebe und Dankbarkeit von ihr sprechen. Sie hatten sieben gemeinsame Kinder, drei Jungen und vier Mädchen. Die Jungen starben noch in frühem Kindesalter. Die Mädchen erreichten alle das Erwachsenenalter, aber alle starben vor ihm außer Fatima, die noch sechs Monate nach ihrem Vater lebte und als einzige Kinder gebar. Für die Schiiten ist Fatima sogar die einzige Tochter des Propheten, die anderen gelten bei ihnen als Töchter Khadijas aus ihrer früheren Ehe.

Die Ehe mit Khadija mag sein gesellschaftliches Ansehen unter den Mekkanern gestärkt haben. Es waren aber vor allem sein e Redlichkeit und seine Art, der ihm Achtung und Beliebtheit bei allen Menschen der Stadt einbrachte. Sie gaben ihm den Beinamen al-Amin, was soviel bedeutet, wie „der Vertauenswürdige“, ließen sich von ihm bei Problemen beraten und übergaben gerne ihre Vermögenswerte in seine Obhut. Als es einmal nach dem Wiederaufbau der Ka’ba darum ging, den Schwarzen Stein wieder an seine Stelle einzusetzen, konnten sich die Mekkaner nicht einigen, welcher Sippe diese Ehre zukommen sollte. Sie beschlossen, in der Moschee zu warten und den ersten, der sie betreten würde, entscheiden zu lassen. Als dieser Mann Muhammad war, waren aller hörbar erleichtert. Sein Vorschlag war, den Stein auf ein großes Tuch zu legen, das ein Vertreter jeder Sippe mit anfassen sollte, um den Stein gemeinsam an seine Stelle zu tragen. Als es soweit war, sollte Muhammad dann einstimmig mit seinen Händen den Stein einsetzten.

Ein einfacher und geachteter Bürger der Stadt

Aus dieser Zeit wird auch von einem Fall berichtet, bei dem ein mächtiger Mann der Stadt einen Reisenden in grober Weise übervorteilte. Einige angesehene Mekkaner setzten sich zusammen um dem Reisenden zu seinem Recht zu verhelfen. Zu dieser Versammlung wurde auch Muhammad eingeladen. Die versammelten Männer vereinbarten, dass sie künftig kein Unrecht dieser Art in der Stadt mehr zulassen würden. Mit Druck und guten Worten erreichten sie dann auch, dass der mächtige Mekkaner dem Reisenden sein Recht zurückgewährte. Noch viele Jahre später – als Prophet – hob Muhammad die Vortrefflichkeit dieser Versammlung hervor. Insgesamt ist das Leben Muhammads vor der Offenbarung bis auf einige wenige Episoden und Ereignisse kaum dokumentiert. Er scheint ein eher bescheidenes und unauffälliges Leben geführt zu haben. Nicht einmal der Umstand, dass er in dieser Zeit nie einem Götzen huldigte und auch sonst den Sünden der Jugend und des Alters fernblieb – so wie bereits die Propheten vor ihm auch – scheint seinen Mitmenschen sonderlich aufgefallen zu sein. Dass er nur zweimal in dieser Zeit an den ausgelassenen Partys der Stadt teilzunehmen beabsichtigte und dass ein ungewöhnlicher Schlaf ihn daran hinderte, wissen wir auch nur von ihm selbst.
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[item title="Teil 3 - Die Mekkaner"]
Wenn wir im Rahmen der Sira von den Mekkanern sprechen, dann ist meist der große Stamm der Koraisch gemeint. Sie sahen sich als Abkömmlinge von Ismael und seinem Vater Abraham. Nach ihrer Tradition, die vom Koran bestätigt werden würde, hatten diese beiden Propheten die Ka’ba, das Zentrum und die Grundlage ihrer Stadt, für die Anbetung des Einen Gottes erbaut. Sie nannten die Moschee immer noch das „Haus Allahs“, obwohl sie ihnen vor allem als Tempel zur Anbetung von zahlreichen Götzen diente, die sie als Seine Töchter oder als Mittler zwischen ihnen und Gott betrachteten.

Der Götzendienst war denn auch ihre Religion und bestimmte ihren Kult. Um die Ka’ba herum sollen mehr als 300 Götzen gestanden haben. Oft waren es Schutzpatronen einzelner arabischer Stämme oder Familien, von denen sie dort Abbilder aufgestellt hatten, um ihnen bei der Wallfahrt zu huldigen. Götzen standen allerdings nicht nur in der Moschee, sondern natürlich auch in den Privathäusern und an anderen Plätzen. Ihnen wurden Opfer dargebracht, auf sie wurde geschworen und sie wurden um ihre Gunst und Fürsprache bei Gott angebetet.

Die Hunafa'

Einige wenige misstrauten dieser Götzendienerei zutiefst. Sie sehnten sich nach der wahren Religion Abrahams und suchten nach seinen Lehren. Sie stellten ein kleines, unauffälliges Phänomen dar, das sich über die Jahrhunderte erhalten hatte. Die historischen Quellen berichten von sehr wenigen Männern, die diesen Weg gingen. Sie bildeten keine Gemeinschaft, sondern waren Einzelgänger, so genannte Hunafa’, d.h. Suchende, die sich jeweils allein auf den Weg machten. Ihr Wegbegleiter war dabei nur ihre innere Stimme. Das Christentum und das Judentum waren den Hunafa’ nicht unbekannt. Der Onkel von Khadija kannte sogar die heiligen Schriften der Christen.

Die Ka'ba

Die Ka'ba als zentrales Heiligtum der arabischen Halbinsel verschaffte Mekka eine unanfechtbare Stellung im Handel mit Waren aus Arabien, Syrien und dem Jemen. Im Sommer und im Winter unternahmen sie jeweils mit großen Karawanen Handelsreisen in den Süden und in den Norden. Ein weiterer unschätzbarer Vorteil der Ka'ba bestand darin, dass alle Araber es als kriegsfreien Ort ansahen. Die Mekkaner konnten, anders als die umliegenden Beduinenstämme oder auch die befestigten Städte und Datteloasen, vor Angriffen auf die Stadt ziemlich sicher sein. Sie mussten lediglich ihre Karawanen und Handelsstraßen beschützen. Der Koran würde sie an diese vorteilhafte Situation erinnern:
Für die Vereinigung der Koraisch, ihre Vereinigung zur Reise des Winters und des Sommers, sollen sie dem Herrn dieses Hauses dienen, der ihnen Speise gegen den Hunger gibt und Sicherheit gegen die Furcht gewährt. (Sure Koraisch; 106; 1-4)

Stammesverbund und Stammesloyalität

Die Stadt war in Stammesverbänden organisiert. Die Oberhäupter der einzelnen Stämme berieten sich in den gemeinsamen Angelegenheiten der Stadt, wobei der Einfluss der einzelnen Oberhäupter von der Stärke ihrer Hausmacht, d.h. von der wirtschaftlichen und militärischen Macht des eigenen Stammes, bestimmt wurde. Letztere wurde vor allem durch die Zahl der waffenfähigen Männer des Stammes bestimmt. Der Reichtum an männlichen Nachkommen bestimmte also maßgeblich den Stand und das Ansehen der Familie und natürlich auch der Mutter. Eine Frau, die keine Söhne gebar, konnte hingegen schnell in Ungnade fallen. Mädchen waren als Nachkommen unbeliebt. Es kam auch vor, dass ein Mädchen von ihrem Vater umgebracht wurde, oft durch das Begraben bei lebendigem Leibe. Der Koran würde später die Mekkaner oft wegen dieses unsäglichen Brauchs ermahnen, z.B. in der folgenden Stelle:

Wenn einer von ihnen von der Geburt eines Mädchens benachrichtigt wird, verfinstert sich sein Gesicht und er unterdrückt seinen Schmerz. Er verbirgt sich vor den Leuten aufgrund der schlimmen Nachricht: Solle er es nun trotz der Schmach behalten oder es im Boden verscharren? Übel ist, wie sie da urteilen. (Sure an-Nahl; 16;59)

So wie die einzelne Familie absolut loyal zum eigenen Stamm war, so stand auch der Stamm für die Familie ein. Wenn ein Familienvater beispielsweise starb, war die Fürsorge für seine Kinder selbstverständliche Pflicht des Stammes. Seine Frauen konnten dann auch von einem der verwandten Männer geerbt werden, mitunter auch gegen ihren Willen. Dies schloss allerdings nicht aus, dass die Frauen selbständig sein konnten und durchaus auch wirtschaftlich und politisch Karriere machen konnten. Das Stammesbewusstsein war sehr stark ausgeprägt. Auseinandersetzungen zwischen zwei Männern aus unterschiedlichen Stämmen konnten so schnell zu Angelegenheiten beider Stämme werden und schlimmstenfalls sogar blutige Fehden auslösen.
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[item title="Teil 4 - Die Berufung zum Propheten"]
Muhammad begann in den letzten drei Jahren vor seiner Berufung sich regelmäßig zurückzuziehen. Er suchte die Einsamkeit in einer Höhle namens Hira auf einem Berg nahe der Stadt, um dort zu meditieren, zu beten und nachzudenken. Als er vierzig Jahre alt war, im Ramdan des Jahres 13 v.H. (August 610 n.Chr.) hatte er dort seine erste Begegnung mit dem Engel Gabriel, der ihm von nun an die Offenbarung überbringen sollte.

Der Engel erschien ihm in Gestalt eines Menschen, ergriff ihn, drückte ihn fest an sich und ließ ihn erst wieder los, als er völlig erschöpft war. Dann herrschte er ihn an: „Lies!“ Muhammad antwortete „Ich kann nicht lesen.“ Der Engel ergriff ihn erneut und drückte ihn so heftig wie beim ersten Mal. Danach wiederholte er seinen Befehl: „Lies!“ Beim dritten Mal fuhr er dann fort:

"Lies im Namen deines Herren, der erschuf. Erschuf den Menschen aus einem haftenden Tropfen. Lies, und dein Herr ist der Großzügigste, der lehrte mit dem Schreibrohr, lehrte den Menschen, was er nicht wusste." (al-Alaq; 96; 1-5)

Dies waren die ersten fünf offenbarten Verse des Koran. Durch diese Begegnung war Muhammad zum Propheten geworden.

Nach der Begegnung in der Höhle

Nach der gewaltigen Begegnung mit dem Engel Gabriel ging Muhammad hinaus aus der Höhle und hörte dieselbe furchteinflößende Stimme rufen: „Muhammad! Du bist Allahs Gesandter und ich bin Gabriel!“ Er erhob seine Augen und sah den Engel wieder in der überdimensionalen Gestalt eines Mannes. Er stand am Himmel über dem Horizont. Dann rief die Stimme erneut: „Muhammad! Du bist Allahs Gesandter und ich bin Gabriel!“ Muhammad, Allahs Segen und Frieden über ihn, versuchte, der Vision zu entkommen und drehte sich weg. Doch egal, wo er sich hinwendete, der Engel stand dort und schaute zu ihm.
Nach einiger Zeit verschwand der Engel und hinterließ einen vom Schock benommenen und eingeschüchterten Muhammad, der nach Hause zu seiner Frau Khadija eilte, um bei ihr Wärme und Trost zu finden. Er erzählte ihr von seinem Erlebnis. Sie versuchte ihr Bestes, um ihn zu beruhigen und ihm Mut zu machen. Er sei doch stets rechtschaffen, großzügig und hilfsbereit gewesen, sagte sie, da werde Gott ihm kein Unheil beschieden haben. Sie nahm ihn zu ihrem Onkel Waraqa, der die Schriften der Christen kannte. Als Waraqa sich den Bericht Muhammads angehört hatte, erklärte er ihm, dass dies wohl der Engel wäre, der auch zu Moses gekommen war. Der alte Mann war sich sicher, dass Muhammad zum Propheten auserwählt worden war.

Die Umstellung auf das Leben als Prophet

Die erste Zeit der Offenbarung war für Muhammad sehr anstrengend. In den Tagen, vielleicht Wochen und Monaten nach der einschüchternden und furchterregenden Begegnung von Hira plagten ihn erdrückende Sorgen und Ungewissheit. Die Berichte gehen bis hin zu seinen Gedanken, sich von einem hohen Felsen herabzustürzen.
Über Muhammad war diese Neuausrichtung seines Lebens völlig überraschend hereingebrochen. Zwar hatte es in den vergangenen Monaten schon Anzeichen für die Berufung gegeben: „wahre Traumgesichte, die kamen wie die Morgendämmerung“, wie er sie später beschreiben sollte, oder der Friedensgruß, den er manchmal ganz deutlich vernommen hatte, ohne dass jemand zugegen gewesen wäre. Doch konnte er diese Zeichen erst im Nachhinein als solche deuten.
Nun war ein fremdes Wesen zu ihm gekommen, ein Wesen aus der verborgenen Welt. Die Hunafa’ hatten eine tiefe Skepsis gegenüber der Zauberei, Wahrsagerei und allen Formen der abergläubischen Interaktion ihrer Zeitgenossen mit der verborgenen Welt. Auch Muhammad wird dieses Misstrauen geteilt haben. Nun war er selbst in Kontakt getreten mit einem Wesen aus eben jener Welt.

Muhammad war zudem ein ruhiger Mann, der sich vom alltäglichen Treiben der Menschen, ihren Festen und Spielen weitgehend ferngehalten hatte. Er war bescheiden und intelligent und fiel außer durch seine Ehrbarkeit und Ruhe nicht auf. Nun sollte er aus der Mitte der Menschheit auserwählt worden sein, um der Menschheit gegenüberzutreten. Dieser Gedanke verschreckte ihn und machte ihm sicherlich Angst.
Es dauerte einige Zeit, bis er sich vergewissert hatte, dass der Ruf ein göttlicher war, dass er eben nicht krank oder besessen war. Dieser Ruf bedeutete für ihn die völlige Umstellung seines Lebens und die Aufgabe seiner bisherigen Ruhe und gesellschaftlichen Stellung. Erst nach und nach, als sich die Offenbarung und die Begegnungen mit dem Engel fortsetzten, akzeptierte er sein Schicksal und fügte sich in diese neue Rolle.
Wahrscheinlich war es auch in dieser Zeit, dass die Offenbarung einmal für längere Zeit unterbrochen wurde. Der Engel hatte ihn so lange nicht besucht, dass er sich verlassen fühlte und die Zweifel ihn erneut existenziell plagten. Die Unterbrechung dauerte entsetzlich lange Monate, manche Berichte sprechen sogar von drei Jahren, bis die Sure ad-Duha (der Morgen, Sure Nr. 93):

Bei dem Morgen! Und bei der Nacht, wenn sie still ist! Dein Herr hat Sich nicht von dir verabschiedet und Er hasst dich nicht. Und das Jenseits ist wahrlich besser für dich als das Diesseits. Und dein Herr wird dir gewiss geben, und du wirst zufrieden sein. Hat Er dich nicht als Waise gefunden und dich untergebracht, dich irrend gefunden und rechtgeleitet, und bedürftig gefunden und dich reich gemacht? So unterdrücke die Waise nicht, und fahre den Bettler nicht an! Und erzähle von der Gnade deines Herrn!
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[item title="Teil 5 - Die frühe Gemeinschaft"]
In den ersten drei Jahren nach seiner Berufung wandte sich der Prophet mit der Botschaft nur an seine engen Familienmitglieder und Freude. Als Erste folgte ihm seine Frau Khadija in den neunen Glauben. Sie hatte ihm bereits bei seiner Rückkehr aus der Höhle ihren Glauben geschenkt, als er selbst noch von dem Geschehenen benommen war und vor Schreck zitterte. Es war ihr gelassenes Vertrauen auf die Weisheit Gottes und die Rechtschaffenheit ihre Mannes.
Ali, sein jüngerer Vetter, der seit einigen Jahren bei ihm lebte, soll sich ihm als Nächster angeschlossen haben. Auch Zaid, sein ehemaliger Sklave, hatte keinen Anlass, an ihm zu zweifeln. Er stammte aus einem Stamm im Norden der Halbinsel und war als Kind der Khadija geschenkt worden. Sie schenkte ihn wiederum Muhammad, der ihn freiließ und nach damaligem Brauch an Sohnes Statt annahm. Seither hieß er auch Zaid, der Sohn Muhammads. Als eines Tages sein Vater und sein Onkel gekommen waren, um ihn mit nach Hause zu nehmen, hatte er sich lieber entschieden, bei Muhammad zu bleiben. Auch Baraka, die schon erwähnte ehemalige Sklavin seiner Mutter, die er geerbt und freigelassen hatte, gehörte zu seinen ersten Anhängern. Aus dem Umfeld seines Haushalts traten noch mehrere Vettern und Basen in seinen Glauben.
Sein engster Freund Abu Bakr gehörte ebenfalls zu den Muslimen der ersten Stunde. Er war ein wohlhabender und angesehener Mann und beliebt für seine Weisheit und seine angenehme Ausstrahlung. Als er die Botschaft seines Freundes hörte, nahm er sie so intuitiv an, wie er ihm bisher immer geglaubt und vertraut hatte. Kurz danach trug er den Ruf des Glauben in seinen Freundeskreis weiter und ihm folgten einige von ihnen ebenso unmittelbar.

Verkündung nur im engen Bekanntenkreis

In den ersten drei Jahren nach der Berufung sollte der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, die Botschaft zunächst nicht öffentlich verkünden. Die Gemeinschaft wuchs auf mehrere Dutzend an, unter ihnen Reiche und Arme, Angesehene und Sklaven. Viele Männer und Frauen von herausragender Bedeutung für die nächsten Jahrzehnte der islamischen Geschichte waren unter ihnen: Abu Bakr und Uthman sollten nach dem Tod des Propheten Kalifen, der schwarze Sklave Bilal sollte eine der bekanntesten und beliebtesten Figuren der islamischen Geschichte werden.
Vom Koran wurden immer wieder neue Abschnitte offenbart, Verse von gewaltiger Schönheit und Einzigartigkeit – und ergreifender Wahrheit. Die Gläubigen trafen sich mit dem Propheten, der sie unterrichtete und mit ihnen betete. Es ging dabei nicht um Politik und Gesellschaft, sondern um Wahrheit und Tugend und vor allem um die Einheit Gottes.

Das Nachtgebet

Der Engel Gabriel brachte dem Propheten einigen Überlieferungen zufolge auch die Gebetswaschung und das rituelle Gebet bei, indem er sie vor ihm vollzog und er ihm zuschaute. Der Prophet zeigte es wiederum den Gläubigen und vollzog es mit ihnen zusammen. Das Gebet war damals die einzige rituelle Verrichtung der Muslime. Wir wissen nicht genau, ob es damals bereits eine Pflicht war oder nicht, auch ist nicht genau überliefert, inwiefern es unserem heutigen Gebet gleicht. Es scheint aber sicher zu sein, dass die fünfmalige Pflicht erst auf der Himmelfahrt des Propheten offenbart wurde. Sicher ist jedoch, dass das Gebet schon bald nach der Berufung Mittelpunkt der religiösen Praxis war.
Einige Zeit später wurde dem Propheten sogar das nächtliche Wachen im Gebet zur Pflicht gemacht:

O du Verhüllter! Verbringe die Nacht stehend (im Gebet) bis auf wenig Zeit davon, die Hälfte von ihr, oder verringere sie ein wenig, oder füge ein wenig hinzu - und trage den Koran klar in singendem Vortrag vor. Siehe, Wir werden dir da ein Wort auf, das von großem Gewicht ist. (al-muzzammil; 73; 1-5)

Der Prophet überbrachte den Sahaba alles ihm Offenbarte und sie nahmen es auf, als seien sie selbst unmittelbar angesprochen. Das lange Gebet in der Nacht sahen bereitete sicher auch auf kommende Zeiten vor, in denen eine starke Bindung zu Gott von großer Wichtigkeit, in denen das Muslimsein eine „schwere Sache“ (thaqil, oben übersetzt „von großem Gewicht“) sein würde.
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[item title="Teil 6 - Öffentliche Verkündung"]
Drei Jahre nach der Berufung erhielt der Prophet eine Offenbarungen, die seine Aufgabe auf eine neue Ebene hoben:

O du Zugedeckter! Erhebe dich und warne. Und preise die Größe deines Herrn. Und reinige deine Kleider. Und meide den Götzendienst. Und poch nicht auf dein Verdienst um mehr zu erhalten. Und sei standhaft um deines Herrn willen. (al-muddaththir; 74; 1-7)

Eine andere Offenbarung aus diesen Tagen war:

So verkünde laut, was dir befohlen wurde, und wende dich von den Götzendienern ab. Wir werden dich vor den Spöttern schützen, die einen anderen Gott neben Allah setzen, doch bald werden sie es zu wissen bekommen. Wir wissen, dass deine Brust beklommen ist von ihrem Gerede. Aber lobpreise deinen Herrn und sei unter denen, die sich niederwerfen. Und diene deinem Herrn, bis das sichere Los dich ereilt. (al-hijr; 15; 94-99)

Abu Lahab

Schon zuvor hatte er den Befehl erhalten, seinen engen Familienkreis zu „warnen“. Nun sollte er sich ganz allgemein „erheben und warnen“, die Botschaft „laut“, d.h. öffentlich verkünden. Er predigte von der Herrlichkeit der Schöpfung und ihrer Größe, von den beständigen Gesetzen der Natur, von Tag und Nacht, von Entstehung und Vergänglichkeit, von Leben und Tod, von der Verwerflichkeit von Aberglaube und Götzendienerei, von Auferstehung und Gericht – und von Gott, dem Einen und Allmächtigen.
Die Koraisch hatten gegen alles, was der Prophet predigte, vordergründig nichts einzuwenden, nur gegen die Ablehnung des Götzendienstes und die Verneinung der Göttlichkeit ihrer Götzen. Diesen Inhalt seiner Botschaft konnten sie nicht dulden und begaben sich in offene Feindseligkeit ihm gegenüber.
Sein Onkel Abu Lahab gab dafür schon gleich zu Beginn den Startschuss. Als der Prophet sich auf die Safa, einen Hügel nahe der Moschee, stellte und die Koraisch zum ersten Mal zusammenrief um sie vor dem Jüngsten Gericht zu warnen, war es Abu Lahab, der ihn laut verspottete. Schon zuvor hatte er seinen Neffen als Schmach und Schande für die Familie bezeichnet.
Die Oberhäupter der Stadt nahmen den Propheten ernst – nämlich als Gefahr für ihre Stellung und ihr Ansehen unter den Arabern. Die Mächtigkeit seiner Worte und die Inbrunst der Überzeugung seiner Jünger waren ihnen nicht verborgen geblieben. Sie begaben sich schon sehr früh zu Abu Talib, dem Oberhaupt der Banu Haschim, des Clans des Propheten. Vielleicht versuchten sie zu Beginn, mit ihm zu reden und ihn mit Argumenten zu überzeugen, seine schützende Hand über Muhammad wegzunehmen. Als sie erkannten, dass Abu Talib zum Schutz seines Neffen fest entschlossen war, machten sie mal Angebote, mal äußerten sie offene Drohungen.

Abu Talib

Es gibt viele Berichte von diesen Unterredungen mit Abu Talib, die sich in den Jahren offenbar mehrmals wiederholt haben. In einer der früheren Sitzungen sollen einige Entsandte der Stadt ihn ermahnt haben, er solle endlich etwas tun, um die Aktivitäten seines Neffen zu unterbinden. Zu lange hätten sie schon gewartet. „Wir werden es nicht dulden, dass er unsere Väter beleidigt, unsere Sitten verspottet und unsere Götter verschmäht. Entweder du bringst ihn dazu, dass er es unterlässt, oder wir erklären euch den Krieg.“ Für Abu Talib war die Drohung sehr ernst, denn er riskierte, dass die Banu Haschim sich bald im Krieg den versammelten Koraisch gegenübersehen könnten. Er sprach vertrauensvoll mit Muhammad, berichtete ihm von der Drohung und bat ihn, ihm keine Last aufzubürden, die er nicht tragen konnte. Die Überlieferung berichtet hier von einer sehr bekannten Aussage des Propheten, mit der er Abu Talib seine Entschlossenheit bekundete: „Selbst wenn sie die Sonne in meine Rechte und den Mond in meine Linke legten, um mich von diesem Weg abzubringen, ich werde ihn nicht verlassen, bis Gott ihm zum Sieg verholfen hat oder ich für ihn gestorben bin.“ Wie sollte der Prophet von seinem Weg denn auch ablassen, ist er ihm doch vom Herr der Welten aufgegeben worden? Das Gespräch muss sehr ernst gewesen sein und mit Tränen geendet haben. Abu Talib erklärte Muhammad am Ende, dass er auf seinen Schutz zählen konnte. Auch wenn die Authentizität dieses Berichts im Detail umstritten ist, so dürfte sie die Situation doch treffend dokumentieren.

Sumayya

Es dauerte nicht lange, bis die Koraisch begannen, die ärmeren und schutzlosen Anhänger des Propheten zu verfolgen, und, wo sie die Möglichkeit hatten, sie auch zu foltern. Wehrlos waren vor allem Männer und Frauen, die von außerhalb zugezogen waren und daher nicht den Schutz einer mekkanischen Sippe genossen, vor allem aber Sklaven.
Ein solcher Fall war der Sklave Bilal. Sein Herr Umayya ließ ihn vor die Stadt bringen und dort unter der glühenden Sonne auf einen Felsstein legen und auspeitschen. Er sollte die Namen ihrer Götzen rufen, aber er wiederholte unter den Schmerzen der Folter nur den Ruf „Einer! Einer!“. Diese Worte sollten sich als bewundernswertes Beispiel für gläubige Standhaftigkeit und als einer der Meilensteine islamischer Geschichte in das kollektive Gedächtnis der Muslime eingraben. Abu Bakr kaufte ihn später frei und nahm ihn in seinen Schutz.
Ein weiteres Opfer der Verfolgung war die Familie Yassir. Sumayya, die Mutter wurde als Opfer der Wut von Abu Jahl, sehr einflussreichen Mann in Mekka, zur ersten Märtyrerin. Ihr Sohn Ammar gab der Folter nach und rief einen Götzennamen. Er ging darauf hin mit schlechtem Gewissen zum Propheten, der ihn jedoch ermutigte: „Wenn sie es noch mal tun, dann tu es noch mal!“ Aber auch Mitglieder eingesessener Familien wurden verfolgt, nämlich von der eigenen Familie.
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[item title="Teil 7 - Die Flucht nach Abessinien"]
In Abessinien gibt es einen gerechten König

Verfolgung und Folter in Mekka nahmen ein solches Ausmaß an, dass der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, einen großen Teil seiner Gefährten anwies, auszuwandern, soweit sie dazu in der Lage wären. „Geht nach Abessinien, denn bei dem König dort geschieht den Menschen kein Unrecht.“ Abessinien war ein christliches Land. Im Monat Rajab fünf Jahre nach der Berufung (9 v.H.; 614 n.Chr.) machten sich zunächst zwölf Männer und vier Frauen auf den Weg dorthin. Ein Gerücht brachte ihnen jedoch bald die Nachricht, die Koraisch hätten den Islam angenommen und mit dem Propheten gebetet. Sie traten sofort erwatungsvoll und überglücklich die Rückreise an. Den Koraisch war ihre Flucht nicht verborgen geblieben, und so ging es ihnen nach ihrer Ankunft in Mekka nur noch schlimmer.
Sie mussten also wieder auswandern. Beim zweiten Mal waren es etwa einhundert Gläubige, darunter knapp zwanzig Frauen, die sich entschlossen, ihre Heimat für ihren Glauben aufzugeben.
Die Koraisch entsandten gleich eine Delegation zum Negus von Abessinien, die ihm wertvolle Geschenke überbrachte und versuchte, ihn zur Ausweisung der Asylanten zu bewegen. Sie versuchten sie in seinen Augen als Häretiker und Unruhestifter zu diffamieren, die weder der Religion ihrer Väter treu geblieben waren, noch seine angenommen hatten. Außerdem behaupteten sie, dass sie gewaltige Lügen über Maria und Jesus sagten. Der Negus erwies sich jedoch tatsächlich als gerechter Herrscher und ließ die Flüchtigen kommen, bevor er sein Urteil fällte.

Die Muslime und der christliche Herrscher

Er fragte sie nach dieser neuen Religion und ihren Aussagen über Maria. Ja’far sprach für die Muslime: „Wir waren ein Volk, das in Unwissenheit lebte. Wir verehrten Götzen, aßen ihnen geweihtes Fleisch, begingen allerlei Schändlichkeiten und der Starke verschlang den Schwachen. Bis Gott uns aus unseren Reihen einen Propheten schickte. Wir kennen seine Herkunft, seine Wahrhaftigkeit, seine Vertrauenswürdigkeit und seine Integrität. Er rief uns dazu auf, die Einheit Gottes zu bekennen, Ihm allein zu dienen und den Steinen und Götzen abzuschwören, die unsere Götter verehrten. Er wies uns an, die Wahrheit zu sagen, unsere Versprechen zu halten, die Familie und die Rechte des Nachbarn zu achten und Verbrechen und Blutvergießen zu vermeiden.“ Das sei der Grund für die Verfolgung ihres Volkes, vor dem sie in seinen Schutz geflohen seien.

Der Negus fragte nach seiner Offenbarung und forderte Ja’far auf, daraus zu vorzutragen. Ja’far rezitierte einige Verse aus der Sure Mariam:
Und gedenke im Buch der Maria. Als sie sich von ihrer Familie zu einem östlichen Ort zurückzog und sich vor ihr abschirmte. Da sandten Wir Unseren Geist zu ihr, und er erschien ihr in der Gestalt eines vollkommenen Menschen. Sie sagte: "Ich nehme Zuflucht vor dir beim Erbarmer, wenn du gottesfürchtig bist." Er sagte: "Ich bin nur der Bote deines Herrn, um dir einen lauteren Sohn zu schenken." Sie sagte: "Wie soll ich einen Sohn bekommen, wo mich doch kein Mann berührt hat und ich keine Hure bin?“ Er sprach: "So ist es; dein Herr spricht: „Es ist Mir ein Leichtes, und Wir machen ihn zu einem Zeichen für die Menschen und zu einer Barmherzigkeit von Uns. Und es ist eine beschlossene Sache."
Als er ihre Antworten hörte, wurde ihm ihre Unschuld und ihre Redlichkeit klar. Aber auch die Nähe zwischen seinem und ihrem Glauben scheint ihn zutiefst berührt zu haben. Er garantierte ihnen das Asyl seines Landes und unbehelligten Aufenthalt.
Den Diplomaten ließ er ihre Geschenke zurückgeben und schickte sie unverrichteter Dinge nach Hause. Die Auswanderer blieben mehrheitlich in Abessinien bis fünfzehn Jahre später der Prophet vom Feldzug gegen Khaibar zurückkehren würde.

Koraisch warnt die Araber vor dem „Hexer“

Trotz der Diffamierungskampagne der Koraisch, wuchs die muslimische Gemeinde langsam, aber stetig. Die Mekkaner fürchteten um ihren Ruf als Hüter der Ka’ba, der heiligen Stätte der Araber und des Tempels für ihre Hunderte von Götzen. Zur alljährlichen Wallfahrt stellten sie Leute an allen Zugängen zur Stadt auf, die die Pilger vor dem „Verrückten“, „Besessenen“ und „Hexer“ warnen sollten. Sie sollten ihm ja fernbleiben, denn sein Koran könnte die Menschen verhexen. Unter den ärgsten Feinden befand sich nach wie vor sein Onkel Abu Lahab und dessen Frau Umm Jamil. Abu Lahab war einer von denen, die ihm nachstellten, wenn er Fremde, die nach Mekka kamen, zum Islam einladen wollte. Mal wendete er die Leute von ihm ab, mal kam er ihm zuvor und verbreitete Lügen und Misstrauen gegen ihn, mal verfolgte er ihn und bewarf ihn mit Steinen. Auf den großen Märkten von Mekka war die Besessenheit Muhammads und die vermeintliche Gefahr für Geist und Seele, die von ihm ausging, Thema ihrer traditionellen Gedichtsdarbietungen.

Ein Kompromissvorschlag

Die Mekkaner versuchten auch über den Verhandlungsweg, den Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, zum Einlenken zu bewegen. Sie boten ihm an, seine Religion anzunehmen, wenn er darin nur Raum für ihre Götzen schaffen würde. Ein anderes Mal boten sie ihm an, abwechselnd seine und ihre Götter anzubeten. An dieser Stelle offenbarte Gott die Sure „al-Kafirun“ (Sure 109, „die Ungläubigen“):

Sprich: Ihr Ungläubigen, ich verehre nicht, was ihr verehrt, und ihr verehrt nicht, was ich verehre. Und ich werde nicht verehren, was ihr verehrt habt, und ihr werdet nicht verehren, was ich verehre. Ihr habt eure Religion und ich habe meine Religion.

Als sie einsahen, dass er von seinem Weg nicht abzubringen war, wendeten sie sich wieder an Abu Talib und boten ihm sogar unverhohlen an, ihnen Muhammad im Tausch gegen einen ihrer besten jungen Männer zu seiner Hinrichtung zu übergeben und ihn so los zu werden.
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[item title="Teil 8 - Hamza und Omar schließen sich den Gläubigen an"]
Das Bittgebet des Propheten

Die Verfolgung der Muslime und die Unterdrückung und Folter der Wehrlosen unter ihnen wurden derweil immer härter. Aus dieser Zeit wird ein Gebet des Propheten überliefert, in dem er Gott bat, den Islam durch einen der beiden „Omare“ zu stärken, nämlich Omar ibn al-Khattab und Amr ibn Hischam (Die Worte Omar und Amr bestehen im Arabischen aus denselben drei Konsonanten). Beide beteiligten sich bisher an vorderster Stelle an der Verfolgung der Muslime, wobei zweiter, besser bekannt unter zu seinem Rufnamen Abu Jahl, die Verfolgung schürte und plante und zudem einer der einflussreichsten Männer der Stadt war. Er hatte auch schon Sumayya umgebracht. Gott sollte das Gebet des Propheten für Omar ibn al-Khattab erhören, der einer seiner engsten Vertrauten werden sollte. Abu Jahl blieb aber bei seinem Hass auf die neue Religion und sollte noch im Kampf gegen die Muslime sterben.

Hamza weist Abu Jahl in die Schranken

Er provozierte stattdessen mit einer überzogenen Entladung seiner Aggression gegen den Propheten die Bekehrung des tapferen und angesehenen Hamza und bescherte dem Islam damit einen entscheidenden Vorteil. Abu Jahl beleidigte den Propheten in der Moschee aufs Heftigste und als dieser dazu nur würdevoll schwieg, bewarf er ihn mit einem Stein und fügte ihm eine schwere Verletzung am Kopf zu. Als Hamza, der Onkel und Altersgenosse des Propheten, von dem Vorfall hörte, eilte er sofort herbei und versetzte Abu Jahl einen heftigen Schlag, so dass er blutete. Im gleichen Atemzug erklärte er ihm seinen Übertritt zur Religion seines Neffen. Der Vorfall hätte beinahe zu einer größeren und gefährlichen Auseinandersetzung zwischen den Sippen der beiden Männer geführt, doch Abu Jahl war staatsmännisch genug, seine Leute zurückzuhalten.
In Mekka war die Atmosphäre inzwischen explosiv geworden und es wird auch von konkreten Mordplänen gegen den Propheten berichtet. Zu unaufhaltbar erschien den Oberhäuptern der Koraisch offenbar der Vormarsch des Islam. Vielleicht war es in diesem Zusammenhang, dass auch der ungestüme Omar eines Tages unterwegs war auf der Suche nach Muhammad, um ihn zur Strecke zu bringen.

Holte die Vergangenheit Omar ein?

Seine Halsstarrigkeit und Feindseligkeit gegenüber dem Islam hatte schon einige Muslime spotten lassen, er würde nie den Islam annehmen, eher tue das noch der Esel seines Vaters Khattab. Auch sein Vater hatte bereits ein schwieriges Verhältnis zum Glauben der Einheit Gottes. Er hatte einen Habruder namens Zaid, der zu den Hunafa gehörte und den Götzendienst verwarf. Khattab zwang ihn, Mekka zu verlassen. Zaid begab sich in den Norden und suchte christliche und jüdische Lehrer auf, die ihn im Glauben Abrahams unterrichteten. Als er hörte, dass in Arabien ein Prophet erscheinen sollte, begab er sich auf den Weg zurück in seine Heimat. Unterwegs fiel er einem Raubüberfall zum Opfer. Zaids Sohn Said hatte Omars Schwester Fatima geheiratet und beide gehörten zu den Muslimen der ersten Stunde. Sie hatten ihren Glauben geheim gehalten, gerade vor Omar, der in seinem Verhältnis zu ihrem Glauben genauso kompromisslos zu sein schien wie einst sein Vater.

Aber vielleicht holte ihn gerade diese Geschichte ein. Jedenfalls legen die verschiedenen Überlieferungen zu seiner Bekehrung den Schluss nahe, dass er zwischen den zwei Seiten hin- und hergerissen war. In einer Nacht kurz bevor er sich auf die Suche nach Muhammad gemacht hatte, hatte er dem Propheten zufällig bei der Rezitation einer Sure im Gebet zugehört, was sein Herz zutiefst berührt zu haben scheint und ihn vielleicht in den folgenden Tagen verwirrte. Vielleicht war es nun eine Art Hassliebe, die ihn zu seinem Vorhaben führte: Auf der einen Seite eine tiefe Berührung durch die wundersame Schönheit und die Kraft des Koran, vielleicht auch die dunkle Präsenz der Geschichte seines Vaters und seines Onkels, auf der anderen Seite die eherne Verehrung der Tradition der Väter, um die er nun erst recht in sich selbst fürchten musste. Sein Weg führte ihn zu seiner Schwester Fatima. Er fand sie beim Erlernen einer Sure des Koran und schlug sie dafür heftig nieder. Aber seine Neugier auf den Koran konnte er nicht unterdrücken und „kostete“ ihn erneut durch die Lektüre der Verse, die seine Schwester gerade lernte:

Ta Ha. Wir haben den Qur'an nicht auf dich herabgesandt, um dich unglücklich zu machen, sondern als eine Erinnerung für den, der Gott fürchtet. Eine Offenbarung von Ihm, Der die Erde und die hohen Himmel erschuf. Der Erbarmer, Er hat Sich auf dem Thron zurechtgesetzt. Sein Reich majestätisch herrscht. Sein ist, was in den Himmeln und was auf Erden ist und was zwischen beiden und was unter dem Erdreich liegt. Und ob du nun das Wort laut aussprichst, Er kennt das Geheime und das, was noch verborgener ist. Allah - es ist kein Gott außer Ihm. Ihm kommen die Schönsten Namen zu. (Taha; 20; 1-8)

Er war wieder tief beeindruckt. Auch der Anblick seiner blutenden Schwester muss ihn berührt haben. Er setzte seinen Weg fort und fand den Propheten bei seinen Gefährten an dem geheimen Ort, an dem sie sich regelmäßig versammelten, im Haue Arqam. Als er dort ankam und energisch an die Tür klopfte, hatte er sein Schwert immer noch in der Hand, aber seine feindselige Energie war über die Länge des Weges von seiner Einsicht eingeholt worden und hatte sich längst in Ergriffenheit umgekehrt. Beim Anblick des Propheten sprach er das Glaubensbekenntnis und fiel ihm in die Arme.

Eine vorläufige Wende für die Muslime

Omar trat kurz nach Hamza ebenfalls in den Islam ein. Beide Ereignisse fanden unabhängig voneinander im letzten Monat (dhu l-Hijja) des Jahres 6 nach der Berufung (8 v.H.; 615 n.Chr.) statt. Der fast gleichzeitige Eintritt der beiden in den Islam war für die Muslime eine Erleichterung. Zwar war die Wut der Koraisch vor allem über Omar, der nicht zur Sippe von Muhammad gehörte, groß. Aber die Muslime konnten es ab nun wagen, in der Moschee zu beten und ihren Glauben nicht mehr zu verheimlichen.
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[item title="Teil 9 - Koraisch machen dem Propheten Angebote"]
Nachdem die mächtigen Männer der Koraisch die neue Situation verarbeitet hatten, dachten sie über ernsthafte Kompromisse nach. In völliger Verkennung der Natur der Offenbarung und gefangen in den Kategorien des Politischen und Ökonomischen entschieden sie, dem Propheten Macht oder Reichtum anzubieten. Sie schickten einen ihrer angesehenen Männer, Utba, zu ihm, ihm ihre Vorschläge zu überbringen.

Utba Ibn Rabi'a beim Propheten

Sie boten ihm Reichtümer und politisches Ansehen an bis hin zur Stellung des Königs, mit der sie wohl so etwas wie einen Ratsvorsitz meinten. Der Prophet hörte Utba geduldig zu, auch als er ihm anbot, ihm die besten Ärzte kommen zu lassen, wenn seine Sache eine Krankheit oder Besessenheit sei. Als er seinen Vortrag abgeschlossen hatte, fragte ihn der Prophet: „Bist du fertig?“ Dabei nannte er ihn nicht Utba, sondern Abu al-Walid, Vater des Walid, so wie es die Araber untereinander taten, wenn sie zueinander höflich sein wollten. Statt auf das abwegige Angebot des Utba oder seine Unterstellungen einzugehen, trug er ihm einen längeren Abschnitt aus dem Koran vor, der besser geeignet wäre, ihn über die Absichten des Propheten aufzuklären. Es war die Sure Fussilat, die 41. Sure:

Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Ha Mim. Eine Offenbarung von dem Erbarmer, dem Barmherzigen, ein Buch, dessen Verse als Koran (viel Wiedergegebenes) in arabischer Sprache klar gemacht worden sind für Leute, die wissen, als Bringer froher Botschaft und als Warner. Doch die meisten von ihnen kehren sich ab, so dass sie nicht hören. Und sie sagen: "Unsere Herzen sind vor dem verhüllt, wozu du uns berufst, und unsere Ohren sind taub, und zwischen uns und dir ist eine Scheidewand. So handle, auch wir handeln." Sprich: "Ich bin nur ein Mensch wie ihr. Mir wird offenbart, dass euer Gott ein Einziger Gott ist; so seid aufrichtig zu Ihm und bittet Ihn um Vergebung." Und wehe den Götzendienern.“ (Fussilat; 41)

Er trug sie vor bis zu der Stelle der Niederwerfung (38. Vers) und warf sich nieder:

Und zu Seinen Zeichen gehören die Nacht und der Tag und die Sonne und der Mond. Werft euch nicht vor der Sonne nieder, und auch nicht vor dem Mond, sondern werft euch vor Allah nieder, Der sie erschuf, wenn Er es wirklich ist, Den ihr verehrt. Wenn sie sich aber in Hochmut abwenden, so preisen Ihn bei Nacht und Tag diejenigen, die bei deinem Herrn sind, und sie sind darin unermüdlich. (Verse 37-38)

Dann wendete er sich wieder seinem Gesprächspartner zu und sagte: „Abu al-Walid, du hast nun gehört. Was du damit machst, ist dir überlassen.“

Utba, der aufmerksam zugehört hatte, konnte sich offenbar der vereinnahmenden Wirkung des Korans nicht entziehen. Er ging zu den wartenden Leuten hinaus und riet ihnen, Muhammad seinen Weg gehen zu lassen: „Ich habe Worte gehört, wie ich sie noch nie gehört habe. Es ist nicht Dichtung, nicht Magie und nicht Zauberei.“, berichtete er und sagte ihnen voraus, diese Worten würden große Bedeutung erlangen. „Wenn ihn die Araber erwischen sollten, seid ihr ihn los. Wenn er sie aber besiegen sollte, wird sein Ansehen auch euer Ansehen und seine Macht auch eure Macht sein.“

Die Männer hatten schon bevor er zu ihnen sprach gesehen, dass er verwandelt war. „Bei Gott, er ist mit einem anderen Gesicht zu euch heraus gekommen als er hinein gegangen ist.“ Sie argwöhnten, Muhammad habe nun auch ihn verhext. Sie setzten sich noch einmal mit Muhammad zusammen, um ihren Angeboten Nachdruck zu verleihen. Als der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, ihnen erneut deutlich machte, dass er weder für Geld noch für Macht zu ihnen gekommen sei, sondern zur Verkündung der Botschaft Gottes, mussten sie ihre Strategie ändern. Aus dieser Zeit werden erneute Mordabsichten und Mordversuche an den Propheten überliefert. Aber auch die Anwendung von Gewalt gegen ihn mitten in der Moschee, während er sich im Gebet befand, waren wohl eher Ausdruck grimmiger Hilflosigkeit als echte Machtdemonstrationen.

Die Sippenhaft

Die Koraisch hatten alles versucht, um das Wirken des Propheten zu beenden. Aber statt des Erfolgs mussten sie mit ansehen, wie gewichtige Leute wie Omar und Hamza ihm nun auch folgten und die Muslime zum Aufsuchen der Moschee ermutigten. Manchmal versammelten Hamza und Omar nämlich die Gläubigen und gingen mit ihnen gemeinsam in einer Art Demonstrationszug in die Moschee.

Die Oberhäupter der Koraisch wollten ihren Kampf jedoch nicht aufgeben und beschlossen, die Großfamilie des Propheten, die Banu Haschim, in Sippenhaft zu nehmen, unabhängig davon, ob sie ihm gefolgt oder den Götzen treu geblieben waren, mit der Ausnahme Abu Lahabs. Sie hängten ein Dokument im Inneren der Ka’ba auf, das verordnete, keine Ehen mehr mit den Banu Haschim zu schließen und ihnen weder zu verkaufen noch von ihnen zu kaufen. Selbst der einfache Umgang, das Gespräch, Besuche sollten unterbleiben. Sie würden von den Banu Haschim „keinen Friedensvertrag akzeptieren und kein Mitleid mit ihnen zeigen“, bis sie Muhammad ausliefern würden oder er selbst seine Botschaft wiederrufen würde.

Das Embargo traf die Banu Haschim hart, denn es dauerte lange zwei oder drei Jahre (7-4 v.H.; 616-618 n.Chr.) und wurde rücksichtslos durchgesetzt. Sie waren eine der eher kleineren Sippen und hatten weder nennenswerte politische noch wirtschaftliche Macht. Wenn Handelskarawanen Waren nach Mekka brachten, fingen die Koraisch sie ab oder boten Preise, die die Banu Haschim nicht aufbringen konnten. Verpflegung kam, wenn überhaupt, nur geheim zu ihnen, meist von Leuten aus anderen Sippen, deren Schwestern oder Tanten durch Heirat zu den Banu Haschim gehörten.
Doch die Banu Haschim blieben standhaft beim Schutz Muhammads, bis die Koraisch ihr Embargo im ersten Monat (Muharram) des Jahres 10 nach der Berufung aufhoben. Auch hierzu kam die Initiative von einzelnen Männern, die nicht länger mit ansehen wollten, wie ihre Schwestern und Tanten diese Qual erleiden mussten.
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[item title="Teil 10 - Das Jahr der Trauer"]
Die Feindseligkeit der Mekkaner und ihre Hetze gegen den Propheten blieben nach der Aufhebung des der Sippenhaft gegen die Banu Haschim unverändert. Ihre Verleumdungskampagnen gegen ihn führten sie vielleicht noch systematischer und intensiver durch. Jedenfalls schien der Prophet, Allahs Segen und Frieden über ihn, für seine Mission unter den Mekkanern keine offenen Herzen mehr zu finden.Er wandte sich nun gezielter an die Araber jenseits der Koraisch, die immer wieder nach Mekka kamen, vor allem zur alljährlichen Pilgerfahrt. Er suchte sie einzeln und in Gruppen auf und lud sie zum Islam ein. Aber diese Araber wiesen ihn genauso rüde ab, wie es die meisten Mekkaner taten.

Zu dieser aussichtslosen Lage kamen für den Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, noch zwei sehr traurige persönliche Ereignisse hinzu, weshalb dieses Jahr auch als „das Jahr der Trauer“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist: Im siebten Monat (Rajab) des Jahres 10 nach der Berufung (4 v.H.; 619 n.Chr.) verstarb sein inzwischen greiser Onkel Abu Talib und zwei Monate danach, im Ramadan, Khadija.
Vor allem der Tod seines Onkels war untröstlich, denn er blieb bei dem Götzenglauben. Noch in den letzen Minuten bat Muhammad ihn innig, Gott, den Einen, zu bezeugen und sich von den Götzen zu lösen. Aber der ebenfalls anwesende Abu Jahl erinnerte ihn eindringlich an die Treue zum Glauben seiner Väter und Abu Talibs letzte Worte waren: „Im Kult des Abd al-Muttalib.“

Koraisch setzen sich über eigenes Schutzrecht hinweg

Der Verlust seines geliebten Onkels und der Abschied von seiner ebenfalls geliebten Frau in so kurzer Zeit waren für den Propheten eine schwere Last. Hinzu kam, dass die finanzielle und emotionale Unterstützung seiner Frau und der politische Schutz seines Onkels ihn wehrlos machten gegen die inzwischen lebensgefährlichen Anfeindungen der Koraisch. Die Mordpläne gegen ihn wurden immer unverhohlener.
Selbst der bisher geschützt geglaubte Gefährte Abu Bakr war sich seines Lebens nicht mehr sicher und trat die heimliche Flucht nach Abessinien an. Nur im Schutz eines einflussreichen Freundes, den er unterwegs traf, konnte er Mekka wieder betreten. Als er aber eines Tages miterlebte, wie seine schwächeren Gefährten, die keinen Beschützer hatten, brutal verprügelt wurden, befreite er seinen Freund öffentlich von seinem Schutzversprechen. Später wurde auch er von Utba, dem Mann, der den Koraisch nach seinem Gespräch mit Muhammad noch empfohlen hatte, ihn seinen Weg gehen zu lassen, so heftig zusammengetreten, dass seine Familie keinen Zweifel hatte, dass er seinen Verletzungen erliegen würde.

„In wessen Hände gibst Du mich?“

Der Prophet selbst begab sich im zehnten Monat (Schuwal) desselben Jahres (4 v.H.; Juni 619 n.Chr.) ins südlich von Mekka gelegene Taif, sprach dort mit den Oberhäuptern der Stadt und verkündete ihnen seine Botschaft von dem Einen Gott. Aber die Leute von Taif waren noch gröber als die Mekkaner. Sie wiesen ihn nicht nur ab, sondern scheuchten das Gesinde der Stadt zusammen und ließen sie ihn hinaussteinigen.

Die Lage schien aussichtslos: Die Mekkaner bedrohten ihn und seine Gefährten inzwischen existenziell, die arabischen Stämme zeigten auch nur Ablehnung und in Taif hatte man ihn hinausgesteinigt. Er lief mit von den Steinwürfen blutenden Füßen zurück in Richtung Mekka. Unterwegs kam er an einem Palmenhain vorbei, in dem er sich ausruhte. Er wusste keinen Rat mehr und war der Verzweiflung nahe. Gott hatte ihm den Erzengelengel immer nur die Glaubensinhalte selbst überbringen lassen: Die Einheit Gottes, die guten Tugenden, das Gebet, das Gottvertrauen, die wunderbare Schöpfung, die Großartigkeit und die Allmacht Gottes und immer wieder Geschichten von den Propheten und Erinnerungen an das Jenseits. Aber taktische Anweisungen, was er konkret tun sollte, Hinweise, wie er einen Ausweg aus der sich seit Jahren immer weiter zuspitzenden Situation finden sollte, blieben aus. Nur die Anweisung zu verkünden. Er schien auf sich allein gestellt. Im Schatten des Palmenhains sprach er ein Gebet, das diesem Gefühl Ausdruck verlieh:

„O Allah, Dir klage ich meine Schwäche, meine Hilflosigkeit und mein Elend unter den Menschen. Du Barmherzigster aller Barmherzigen, Du bist der Herr und Beschützer der Unterdrückten. Du bist mein Herr. In wessen Hände gibst Du mich? In die Hände eines fernen Fremden, der mich misshandelt? Oder in die eines Feindes, dem Du Macht über mich gibst? Wenn Du gegen mich keinen Zorn hegst, so bekümmere ich mich nicht. Denn Deine Güte ist mir ein breiterer Horizont. Ich nehme Zuflucht zum Lichte Deines Angesichts, das alle Finsternis erstrahlen lässt und in dessen Licht sich die Dinge des Diesseits und Jenseits ordnen, damit Dein Zorn nicht auf mich fällt und Dein Grimm mich nicht trifft. Der Tadel steht Dir zu, bis Du zufrieden bist. Es gibt keine Macht und keine Kraft außer von Dir.“

Schutzlos zurück nach Mekka

Der Prophet wusste, dass er sich nun nicht einfach nach Mekka zurückbegeben konnte. Durch seinen Versuch, außerhalb von Mekka Unterstützung für eine von den Oberhäuptern seines Volkes angefeindete Sache zu finden, hatte er ihnen nun quasi seinerseits die Feindschaft erklärt. Mit dem Schutz seiner Sippe konnte er jetzt auch nicht mehr rechnen, denn Abu Talib war verstorben und an seine Stelle war Abu Lahab getreten, der Muhammad gemeinsam mit seiner giftigen Frau Umm Jamil von Anfang an nur mit Hass und Niedertracht begegnet war. Er musste sich einen anderen Schutzpatron suchen ganz so, als wäre er ein Fremder. Zwei Männer aus angesehenen Stämmen lehnten sein Gesuch ab, bis schließlich Mut’im bin Adiyy sich bereit erklärte. Mut’im giing zusammen mit seinen Söhnen bewaffnet in die Moschee und rief sein Vorhaben aus. Abu Jahl fragte ihn jedoch: „Beschützt du oder folgst du?“ Erst als Mut’im ihm zusicherte, Muhammad in seinem Glauben nicht gefolgt zu sein, akzeptierte nahm erkannte er seine Asylgewährung an.
Die folgenden Jahre waren für den Propheten und die Muslime mit ihm unverändert schwierig und entbehrungsreich. Die Herzen der Mekkaner schienen versiegelt zu sein und ihre Diffamierungskampagnen legten undurchdringliche Schleier zwischen der Botschaft des Himmels und den Menschen, die von außerhalb Mekka besuchten. Aber die Wende sollte sich schon im nächsten Jahr von völlig unerwarteter Seite ankündigen, wenn eine kleine Gruppe von Männern aus Yathrib nach Mekka kommen sollte. Doch zuvor sollte der Prophet noch ein ganz besonderes Erlebnis haben, ein Geschenk von unvorstellbarer Schönheit: al-Isra’ und Mi’raj, die Nachtreise und die Himmelfahrt.
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[item title="Teil 11 - Nachtreise und Himmelfahrt"]
In den zwei Jahren nach dem Tode Khadijas und Abu Talibs fand das bemerkenswerte Ereignis statt, das in späteren Jahrhunderten bei den Muslimen wie kein anderes die Erzählphantasie und Malerei inspirieren würde: Die wundersame Reise des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, nach al-Quds (Jerusalem) und seine Auffahrt in den Himmel. Es ist viel diskutiert worden, welcher Art diese Reise gewesen sein soll, ob sie körperlicher oder rein geistiger Art war, also lediglich eine Vision, ein „realer Traum“. Fest steht, dass der Prophet von ihr berichtete wie von einer realen Reise, die sich aber in einer Nacht und zum Teil in einer verborgenen Welt, d.h. auf für den menschlichen Geist unvorstellbare Weise vollzogen hat. Die gestellte Frage ist eher von nachrangiger Bedeutung.

Du hast die Fitra gewählt

Jedenfalls ist der Engel Gabriel zum Propheten gekommen, als er bei der Ka’ba betete. Er nahm ihn auf einem pferdähnlichen Flugtier, dem Buraq, auf die Reise nach al-Quds. Dort traf er am Tempel auf eine große Gemeinschaft von Propheten, mit denen er gemeinsam und als ihr Imam das Gebet verrichtete. Es war eine schöne Begegnung, vielleicht auch ein Trost in der schmerzvollen Zeit nach dem Verlust von Khadija und Abu Talib und nach der traurigen Episode von Taif. Die Propheten waren versammelt an einem Heiligen Ort in jenem Land, in dem so viele von ihnen zuvor schon ihre Spuren hinterlassen hatten, und Muhammad war ihr Imam im Gebet zum Erhabenen, ihrem und der Welten Einen Herrn. Vor dem Gebet waren ihm Wein und Milch zum Trinken angeboten worden. Als er die Milch wählte, sagte ihm der Engel: „Du hast die reine Natürlichkeit (Fitra) gewählt. Hättest du den Wein genommen, wäre dies eine Versuchung für deine Umma geblieben.“ Die siebzehnte Sure des Koran, al-Isra’, ist nach der Nachtreise benannt und widmet ihr den ersten Vers:

Gepriesen sei Der, Der bei Nacht Seinen Diener von der heiligen Moschee zu der fernen Moschee, deren Umgebung Wir gesegnet haben, hinführte, auf dass Wir ihm einige Unserer Zeichen zeigten. Wahrlich, Er ist der Allhörende, der Allsehende. (al-isra’; 17; 1)

Nach dem Besuch im Tempel fuhr Muhammad zusammen mit Gabriel hinauf in die verschiedenen Sphären des Himmels und begegnete auf jeder Ebene einem der großen Propheten, mit denen er im Tempel gebetet hatte, darunter Adam, dem Vater der Menschheit, Johannes, dem Täufer, Jesus, Josef, Aaron und Moses. Sie alle grüßten ihn und hießen ihn willkommen. Im siebten Himmel dann trafen sie auf Abraham, der sich ebenfalls über den Besuch Muhammads freute und ihn willkommen hieß. Sie alle erschienen ihm in wundervoller Schönheit und himmlischer Verklärung.

Am Ende des Weges

Anschließend fuhr er weiter in die Höhe, bis er an den „Lotusbaum des äußersten Endes“ kam. An diesem äußersten Punkt, am „Ende des Weges“, dem Gipfel des Universums, zeigte sich ihm Gabriel noch einmal in seiner vollen Pracht. Die Berichte beschreiben das, was sich dort ereignete, in Bildern, die angelehnt sind an unsere irdische Erfahrungswelt. In Wirklichkeit sind es jedoch Andeutungen himmlischer Erscheinungen. Entsprechend ist auch die Sprache der Koranverse, die von dieser Erfahrung sprechen:
Gelehrt hat ihn einer, der über starke Kräfte hat, der Macht besitzt; darum stand er aufrecht da, als er am obersten Horizont war. Dann näherte er sich; kam dann nach unten, so dass er zwei Bogenlängen entfernt war, oder noch näher. Da offenbarte Er Seinem Diener, was Er offenbarte. Das Herz hat nicht gelogen, was er sah. Wollt ihr da mit ihm über das streiten, was er sieht? Und er sah ihn bei einer anderen Begegnung, beim Lotusbaum am äußersten Ende, an dem der Garten der Heimstätte liegt. Dabei überflutete den Lotusbaum, was (ihn) überflutete. Da wankte der Blick nicht, noch überschritt er das Maß. Wahrlich, er hat von den größten Zeichen seines Herrn gesehen. (an-najm; 53; 4-18)

Was der Prophet dort wahrnahm ist von himmlischer Natur. Er sah von dem Lichte des göttlichen Angesichts und empfing dort von seinem Herrn unmittelbar die Offenbarung zur Pflicht des täglichen fünfmaligen Gebets.

Viele Spötter und ein Siddiq

Als er am nächsten Morgen wieder bei seiner Familie in Mekka war, erzählte er ihnen von seiner Reise nach al-Quds, nicht aber von der Himmelfahrt. Es dauerte nicht lange, bis die ganze Stadt davon erfahren hatte und die Geschichte zum Anlass für Hohn und Gelächter genommen wurde. Für die Ungläubigen war dies der Beweis, dass Muhammad tatsächlich besessen oder geistig verwirrt war. Es war aus diesem Anlass, dass Abu Bakr den Beinamen Siddiq bekam, was soviel bedeutet wie „der große Bezeuger“. Einige Ungläubige waren zu ihm gekommen und hatten ihm von der ungeheuerlichen Geschichte seines Freundes erzählt. Er erwiderte ihnen gelassen, dass Muhammad ihm doch täglich von der Botschaft berichte, die ihn vom höchsten Himmel erreiche und nicht nur aus al-Quds. Wenn er es gesagt haben sollte, dann habe er die Wahrheit gesagt.
Erst als der Prophet von Karawanen berichtete, die er unterwegs gesehen hatte, erst als er sie genau beschrieb, erst als diese Karawanen zu den Zeiten in Mekka ankamen, die er vorausgesagt hatte und seine Beschreibungen genau auf sie zutrafen, erst dann versiegte der Spott der Koraisch.
Für den Propheten war die Reise eine große Beruhigung und eine heilsame Ehrung, nachdem er so nahe der Verzweiflung gewesen war. Es war die Vereinigung mit den Propheten, es war die Empfängnis der Offenbarung von Gott ohne die Vermittlung des Engels. Es war eine Erhebung, die ihn jenseits der irdischen Endlichkeit die Wirklichkeit der Dinge im großen Dasein erfahren ließ.
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[item title="Teil 12 - Die Leute aus Yathrib"]
Yathrib, das spätere Medina, lag etwa vierhundert Kilometer nördlich von Mekka. Dort lebten neben den beiden arabischen Stämmen Aws und Khazraj auch einige jüdische Stämme mit gelehrten Rabbinern. Sie standen mit den Arabern in engen Beziehungen und hatten ihnen oft von einem Propheten gesprochen, der bald kommen würde und mit dem sie zusammen die arabischen Heiden bekämpfen würden. Anders als die umliegenden arabischen Beduinenstämme waren die Leute aus Yathrib Palmenbauern. Die Aws und die Khazraj lebten innerhalb der Stadt, mit ihnen eine Reihe kleinerer jüdischer Sippen. Von den drei größeren jüdischen Stämme lebten zwei in befestigten Vororten, der dritte in einem äußeren Viertel der Stadt.

Eine Begegnung wie keine zuvor

Im Jahr 11 nach der Berufung (3 v.H.; 620 n.Chr.) kamen sechs Männer aus Yathrib zur Wallfahrt nach Mekka. Als der Prophet sie mit der Botschaft des Islam ansprach, wurden sie hellhörig und vermuteten in ihm jenen erwarteten Propheten. Ihre Offenheit und Zugeneigtheit war überraschend und sie unterschieden sich hierin völlig von den anderen Stämmen, denen er bislang begegnet war. Es spielte hierfür auch eine Rolle, dass sie aus einer zerrissenen Stadt kamen, in der die zwei arabischen Stämme in erbitterter Feindschaft miteinander lebten.

Ein langer Fehdenkrieg lag erst kurze Zeit zurück und seine Wunden waren in den Herzen der Menschen auf beiden Seiten noch so präsent, dass eine völlig unwesentliche Kleinigkeit jederzeit zum nächsten Blutvergießen führen konnte. Sie sahen in dem Propheten daher auch eine Hoffnung für ihre Stadt und ihre beiden Stämme. Er könnte sie einen und sie das Kriegsbeil ein für allemal begraben lassen. Es war jedoch nicht Kalkül, das sie dem Propheten zuhören ließ, sondern Hoffnung. Vielleicht hatte sie die Erfahrung nachdenklicher gemacht und die Not einsichtiger und empfänglicher für eine Botschaft, die die Herzen und den Geist anspricht. Vielleicht hatte der zermürbende Krieg, in dem es weder Sieger noch Verlierer gab, keinen Platz mehr gelassen für Ahnenstolz und Überheblichkeit. Und vielleicht war auch der Glaube an ihre Götter durch das langjährige Leiden erschüttert, so dass sie eher bereit waren sie in Frage zu stellen.

Sie waren zu sechst und alle aus dem Stamm der Khazraj. Sie sprachen noch vor Ort das Glaubensbekenntnis und nahmen sich vor, die Botschaft des Propheten nach Medina zu ihren Leuten zu bringen.

In Yathrib breitet sich der Glaube schnell aus

In Yathrib drang die Botschaft vom Propheten, Allahs Segen und Frieden über ihn, schnell in jedes Haus. Es erwies sich sehr bald, dass nicht nur die sechs Männer, sondern die gesamte Stadt dem Islam mit großer Offenherzigkeit begegnete. Ohne Muhammad noch gesehen zu haben nahmen viele Menschen seine Botschaft an. Die Atmosphäre sollte hier von Anfang an eine ganz andere sein als in Mekka. Schon im nächsten Jahr (12 nach der Berufung; 2 v.H.; 621 n.Chr.) kam eine Delegation von vier Männern aus den Khazraj und zwei der Aws zur Wallfahrt. Sie schlossen mit dem Propheten einen Pakt, wonach sie versprachen, Gott allein zu dienen, nicht zu stehlen, nicht fremdzugehen, ihre Kinder nicht zu töten, niemanden zu verleumden und schließlich ihm den Gehorsam im Guten nicht zu verweigern.

Im darauf folgenden Jahr bestand die Delegation aus mehr als siebzig Muslimen, unter ihnen auch zwei Frauen. Sie trafen sich nach Mitternacht an einem versteckten Ort, den sie mit dem Propheten in geheimer Diplomatie vereinbart hatten. Weder die Koraisch, noch die mitgereisten Götzendiener aus Yathrib sollten von dem Treffen erfahren.

Diesmal hatte der Pakt auch einen klaren politischen Bestandteil. Der Onkel des Propheten Abbas, der noch dem Glauben der Väter angehörte und mitgekommen war, eröffnete das Treffen mit der nachdrücklichen Forderung, Muhammad vor seinen Feinden zu beschützen. „Wenn ihr seht, dass ihr ihn nach seiner Abreise zu euch freigeben und im Stich lassen würdet, dann lasst ihn gleich hier zurück. Denn er genießt in seiner Heimat und in seinem Stamm einen starken Schutz.“

Sie wollten aber den Propheten hören: „Wir haben gehört. So sprich du, Gesandter Gottes, und bedinge für dich und deinen Herrn, was dir beliebt.“ Sie waren offenbar in tiefem Glauben an ihn, den Gesandten Gottes, nach Mekka gekommen, in fester Entschlossenheit, mit ihm diesen unbestimmten Weg zu gehen. Der Prophet bedingte für sich den Gehorsam, finanzielle Opfer, Rechtschaffenheit und Zivilcourage, für Gott aufzustehen und sich nicht einschüchtern zu lassen, mit ihm zu kämpfen und ihn zu beschützen, so wie sie sich selbst und ihre Frauen und Kinder beschützen würden. Und ihnen versprach er nicht mehr und nicht weniger als das Paradies.

In einer bewegten Atmosphäre wurde allen Anwesenden klar, dass dieses geheime Treffen ebenso historisch wie schicksalhaft war. Die Medinenser würden sich durch Annahme des Islam und die Unterstützung des Propheten alle anderen Araber zu Feinden machen. So wie die Koraisch ihren eigenen Sohn aufgrund seiner Botschaft angefeindet hatten, so würden die arabischen Stämme, Beduinen und Städter, ihre Stadt anfeinden.

Es waren einige Medinenser selbst, die das Risiko und die Schicksalhaftigkeit der Stunde betonten. „Würdet ihr ihn wieder freigeben, wenn euch euer Vermögen genommen und eure Adligen getötet werden?“, vergewisserte sie einer aus ihrer Mitte, als sie schon aufstanden, um den Treuebund zu besiegeln. „Wenn es so ist, dann tut es gleich, denn bei Gott, es wäre eure Schande auf Erden und im Jenseits. Wenn ihr meint, dass ihr zu eurem Versprechen stehen würdet trotz des Verlusts eurer Vermögen und eurer Adligen, dann nehmt ihn. Denn bei Gott, er ist das Beste auf Erden und im Jenseits.“ Ein anderer verwies darauf, dass auch die Bündnisse mit den jüdischen Stämmen Yathribs durch dieses Bündnis hinfällig würden. Ein Dritter fragte den Propheten, ob er sie denn wieder allein lassen würde, wenn sein Volk ihm folgen würde. Hierauf antwortete der Prophet: „Euer Blut ist mein Blut, und eure Verlust ist mein Verlust. Ich gehöre zu euch und ihr gehört zu mir. Ich kämpfe gegen eure Feinde und schließe Frieden mit euren Freunden.“

Dann stand einer auf und erklärte endgültig: „Angenommen, wir nehmen ihn zu uns auch auf das Risiko hin, unser Vermögen einzubüßen und unsere besten Männer zu verlieren. Was bekommen wir dann dafür, Gesandter Gottes, wenn wir dies alles einhalten?“ „Das Paradies.“, antwortete der Prophet kurz. Da sprachen sie: „So reiche uns deine Hand!“ Er hielt ihnen seine Hand hin und sie gaben ihm einer nach dem anderen ihre Hände und besiegelten den Treuebund.

Die Leute aus Yathrib sollten sich als verlässliche und standhafte Partner erweisen. Ihr Glaube an den Propheten und saßen sehr tief in ihren Herzen. Auch als es brenzlig wurde, als sie mit ihren vielen verarmten Glaubensgeschwistern aus Mekka teilen mussten, als sie ihre Leute im Kampf verloren: sie sollten zu ihrem Wort stehen. Auch in der Zeit nach dem Tod des Propheten, als es um die Verteilung von Pfründen und Macht ging, hielten sich die Ansar, Helfer, wie sie genannt wurden, sollten sich die Ansar bescheiden zurückhalten. Der Koran wird zu gegebenem Anlass über sie sprechen:

Und jene, die vor ihnen in der Wohnstätte und im Glauben zuhause waren. Sie lieben jene, die bei ihnen Zuflucht suchten, und hegen in sich kein Bedürfnis nach dem, was ihnen gegeben wurde, sondern bevorzugen andere vor sich selbst bevorzugt, auch wenn sie selbst in Dürftigkeit leben. Und wer vor seiner eigenen Habsucht bewahrt ist - das sind die Erfolgreichen. (59:8)
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[item title="Teil 13 - Die Hijra (Die Auswanderung)"]
Die Gläubigen wandern aus

Kurz nach diesem zweiten Aqaba-Pakt begannen die Muslime aus Mekka einzeln und in kleinsten Grüppchen auszuwandern. Seit der Berufung waren dreizehn Jahre vergangen. Sie hatten von den Koraisch nichts gefordert außer der Freiheit, ihren Glauben zu bezeugen und ihn zu verkünden. Aber die Herren der Stadt wollten diese unerhörte Neuerung nicht dulden. Zehn Jahre lang sind sie drangsaliert, manche sogar gefoltert worden. Sumayya war von Abu Jahl getötet, Bilal von Umayya in vor der Stadt ausgepeitscht worden, Abu Bakr war fast zum Tode zusammengetreten worden. Die Banu Haschim waren drei Jahre lang ausgehungert worden. Von vielen ihrer liebsten Verwandten und Freunde waren sie seit sieben Jahren getrennt, weil sie nach Abessinien fliehen mussten.

Die Muslime in Mekka wussten, dass in Yathrib etwas in Vorbereitung war, dass von dort Erlösung kommen konnte. Ihnen war nicht verborgen geblieben, dass der Prophet vor einem Jahr Mus’ab mit der medinensischen Delegation geschickt hatte, um sie im Islam zu unterrichten und ihnen die bisherige Offenbarung zu überbringen. Auch wenn die Muslime in Mekka wussten, dass sie sich letztlich in eine mehr als ungewisse Zukunft begeben würden, sie konnten den Tag ihrer Abreise gar nicht abwarten. Sie wussten, dass sie bereits an dem Tag, an dem sie das Glaubensbekenntnis abgelegt hatten, eine neue Weichenstellung für ihr Leben getroffen hatten. Sie hatten sich auf den Weg Allahs begeben, ohne Sicherheiten außer dem Propheten selbst.

„Wenn deine Mutter die Läuse beißen, wird sie sich schon kämmen!“

Die Koraisch versuchten sie an der Auswanderung zu hindern, und wo sie konnten hielten sie auch zurück oder ließen sich die Freizügigkeit teuer abkaufen. In der Regel mussten die Muslime mindestens auf ihr Hab und Gut verzichten und es vollständig zurücklassen. Einige wurden auch gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören. Oft waren es die eigenen Familien, die die Abweichler zurückzuhalten versuchten. So ein Fall war zum Beispiel Ayyash. Er war ein Freund von Omar und mit ihm geflohen. In Yathrib wurde ihm die Nachricht übermittelt, seine Mutter habe geschworen, sich weder vor der Sonne zu schützen noch die Haare zu kämmen, bis er wieder zurückkäme. Omar warnte ihn, seine Brüder wollten ihn damit nur nach Mekka locken. Seine Mutter würde sich schon die Haare kämmen, wenn die Läuse sie bissen. Ayyash konnte dem vermeintlichen Druck der Mutter jedoch nicht widerstehen und kehrte zurück. Omar sollte Recht behalten. Ayyasch wurde schon unterwegs abgefangen, gefesselt und wie ein Gefangener nach Mekka zurück gebracht, wo er dann gezwungen wurde, seinem Glauben abzuschwören.

Koraisch machen Ernst mit ihrer Mordabsicht

Als die Koraisch erkannten, dass die Angelegenheit Muhammad gerade dabei war, ihnen aus den Händen zu gleiten, wuchs ihre Sorge um die Zukunft ihrer Stellung und um ihren Ruf unter den Arabern der Halbinsel. Muhammad würde seinen Weg sicher ebenso unbeirrt fortsetzen, wie er es schon bei ihnen getan hatte. Sie hatten längst keinen Zweifel mehr daran, dass seine Botschaft dazu geeignet war, das Gesicht der Halbinsel grundlegend zu verändern. Mit seiner Auswanderung würde sein Wirken in Mekka ein vorläufiges Ende haben, aber die Risiken für sie wären eher größer, denn sie hätten dann überhaupt keine Kontrolle mehr über ihn. Nachdem sie schon mehrmals über seine Ermordung nachgedacht hatten, schien dies nun ihre einzige Möglichkeit zu sein, die weitere Ausbreitung dieses Glaubens zu verhindern.

Um das Problem zu umgehen, dass ein Mord an ihm leicht zu einer Fehde zwischen der Sippe seines Mörders und der Sippe des Propheten führen konnte, ersannen sie einen Plan: Aus jeder Sippe sollte ein junger Mann bestimmt werden. Sie sollten ihn alle gleichzeitig überfallen und durch gleichzeitige Schwerthiebe ermorden. Die Banu Abd Manaf, die Grossippe des Propheten, würde klug genug sein und ein Blutgeld akzeptieren, statt allein gegen alle anderen Sippen in den Krieg zu ziehen.

„Zu zweit und Gott ihr Dritter“

Inzwischen waren so gut wie alle Muslime außer dem Propheten selbst, seinem engen Freund Abu Bakr, dessen Kindern und seinem Vetter Ali, ausgereist. Seine Gefährten wusste er nun in Sicherheit. Aber ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er wusste, dass die Koraisch alles tun würden, um ihn an der Ausreise zu hindern. Mut’im, in dessen Schutz er nach der Rückkehr aus Taif in die Stadt gekommen war, war inzwischen gestorben. Auf die verbliebenen Mitglieder seiner Familie konnte er auch nicht mehr zählen. Sein Leben war in Mekka nicht mehr sicher und vielleicht würde ihm eine Flucht nur mit der Hilfe Gottes gelingen. Er bereitete die Reise zusammen mit Abu Bakr minutiös vor und berechnete jeden Schritt. Für die Abreise wurde dann schließlich die Nacht seiner geplanten Ermoderung bestimmt.

„Sie schmiedeten Pläne, und Allah schmiedete Pläne“

Der Prophet, Allahs Segen und Frieden über ihn, pflegte nach dem Nachtgebet immer einige Stunden zu schlafen. Gegen Mitternacht stand er dann meist auf und begab sich in die heilige Moschee zum Gebet. Das wussten jene, die ihm nach dem Leben trachteten. Und so umstellte das versammelte Mordkommando dieser Nacht sein Haus und wartete darauf, dass er es zum Gebet verlassen würde. Doch ihre Plan erfüllte sich nicht. Der Prophet begann die Sure yasin aufzusagen:

Ya Sin. Beim weisen Koran, du bist gewiss einer der Gesandten, auf einem geraden Weg. Eine Herabsendung des Mächtigen, des Barmherzigen, damit du Leute warnst, deren Väter nicht gewarnt worden sind, so dass sie achtlos sind. Der Spruch ist über die meisten von fällig geworden, denn sie glauben nicht. Um ihren Hals haben Wir Fesseln gelegt, die bis an das Kinn reichen, so dass ihr Haupt hochgezwängt ist. Und Wir haben vor ihnen einen Wall und ebenso hinter ihnen einen Wall gemacht, und Wir haben über sie einen Schleier gelegt, so dass sie nicht sehen können. Und es ist ihnen gleich, ob du sie warnst oder ob du sie nicht warnst; sie glauben nicht. Du kannst nur den zu warnen, der die Ermahnung befolgt und den Erbarmer im Verborgenen fürchtet. So verkünde ihm Vergebung und einen ehrenvollen Lohn. (yasin; 36; 1-11)

Als er an die Stelle kam „und Wir haben über sie einen Schleier gelegt, so dass sie nicht sehen können“, kam er heraus. Die Auge der Männer verdunkelten sich, so dass sie ihn nicht sehen konnten und er durch ihren Kreis hindurch zu Abu Bakr gehen konnte. Doch bevor er sich zu ihm beeilte, nahm er Erde in die Hand und streute sie auf ihre Köpfe. Sie erwachten erst, als er längst fort war. Der Koran wird später an dieses Ereignis erinnern:

Und als diejenigen, die ungläubig sind, gegen dich Pläne schmiedeten, dich gefangen zu nehmen oder dich zu ermorden oder dich zu vertreiben. Sie schmiedeten Pläne, und Allah schmiedete Pläne, und Allah ist der beste Pläneschmied. (al-Anfal; 8; 30)

Muhammad, der unveränderte „Amin“

Er hinterlies Ali in seinem Bett, denn er wusste, dass ihm nichts geschehen würde. Der Gesandte Gottes war auch nach seiner Berufung und trotz der Anfeindungen in den Augen der Mekkaner stets der Amin, d.h. der Zuverlässige und Vertrauenswürdige geblieben. Deshalb befanden sich bei ihm immer Treuegüter, die verschiedene Leute der Stadt bei ihm aufbewahrten. Er musste mit ihrer Rückgabe bis nach seiner Abreise warten, um keinen Verdacht zu wecken. Ali war auch für die Aufgabe zurückgeblieben, den Leuten ihre Sachen auszuhändigen.

Mit Abu Bakr hatte der Prophet einen Treffpunkt ausgemacht, von dem aus sie ihre geheime Reise nach Yathrib antreten wollten. Die beiden Flüchtigen rechneten damit, dass die Koraisch sie intensiv verfolgen und nach ihnen suchen würden. Deshalb orientierten sie sich zunächst nach Süden, um sich dann, wenn die Suche nachgelassen hätte, über die unwegsamen Bergklippen nach Westen ans Rote Meer zu begeben. Dort würden sie entlang der Küste einen sehr ungewöhnlichen Weg nach Norden nehmen. Sie brachen noch vor Morgengrauen auf und marschierten entlang der geplanten Route, bis sie an eine Höhle im Gebirge kamen, die in die Geschichte als Höhle (auf dem Berge) Thawr eingehen sollte. Ein Schafhirte Abu Bakrs folgte ihnen mit einer Herde, um ihre Spuren zu verwischen. Sie verbrachten in der Höhle drei Nächte. Der Sohn Abu Bakrs Abdullah und seine Tochter Asma’ versorgten sie derweil mit Proviant und Nachrichten aus Mekka.

Die zwei, deren Dritter Gott war

Dort waren die Oberhäupter der Stadt durch die überraschende und spurlose Flucht des Propheten und durch das Scheitern ihres doch so treffsicheren Planes in wütende Hektik versetzt worden. Sie verprügelten Ali und schlugen sogar die Tochter Abu Bakrs, um von ihnen Informationen über die Flüchtigen zu erpressen. Dann stellten sie Suchtrupps zusammen, die in alle Richtungen ausschwärmen sollten, und setzten ein gewaltiges Preisgeld für ihre Ergreifung aus. Es setzte eine intensive Suche ein, die alle möglichen Wege erkundete. Einige Männer stiegen sogar den Berg Thawr hinauf und blieben vor der Höhle stehen. Der Prophet und sein Freund hörten ihre Stimmen. Nach einer berühmten Überlieferung flüsterte Abu Bakr in diesen Augenblicken besorgt dem Propheten zu: „Wenn einer von ihnen zu seinen Füßen blickt, entdecken sie uns!“ Doch der Prophet beschwichtigte ihn: „Sei nicht traurig, denn Gott ist mit uns.“, und fügte hinzu: „Was hältst du von zweien, deren Dritter Gott ist?“ Die Verfolger beschlossen zurückzukehren. Eigentlich läge es aus Sicht der Männer auf der Hand, gerade in der Höhle nachzuschauen. Aber nach den Überlieferungen hatten eine Spinne ihr Netz über die Höhlenöffnung gesponnen und wilde Tauben ihre Nester dort gebaut, womit die Vermutung der Flüchtigen in der Höhle abwegig erschien. Der Koran wird später auf diesen Augenblick hinweisen:

Wenn ihr ihm nicht helft, so hat Allah ihm damals schon geholfen, als die Ungläubigen ihn vertrieben haben - er war einer von zweien -, wie sie da beide in der Höhle waren und er zu seinem Begleiter sagte: Sei nicht traurig, denn Allah ist mit uns. (at-Tauba; 9;40)

„Hätten sie mich nicht vertrieben, ich hätte dich nicht verlassen“

Am vierten Tag kam wie vereinbart ihr Führer, ein Koraischite, der der Religion seines Volkes treu geblieben war, und brachte ihnen die beiden Kamele, die Abu Bakr vorbereitet hatte. Sie brachen auf und ritten zügig, denn sie mussten damit rechnen, das Preisgeldjäger und Suchtrupps sie weiter verfolgen würden. Einmal drehte sich der Prophet um und konnte in der Ferne Mekka erkennen. „Du bist Gottes liebstes Stück Erde,“ sagte auf seine Heimatstadt blickend, „und bei Gott, wenn mich dein Volk nicht aus dir vertrieben hätte, ich hätte ich nicht verlassen.“

Die Menschen in Yathrib hatten vom Aufbruch des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, gehört und konnten seine Ankunft kaum erwarten. Sie wussten nicht, dass er einige Tage in der Höhle abgewartet hatte und waren seit Tagen jeden Morgen vor die Stadt gegangen, um ihn dort zu empfangen. Nur die Mittagssonne hatte sie gezwungen, in ihre Häuser zurückzugehen.

Nach zwölf oder dreizehn Tagen kamen der Prophet und Abu Bakr dann endlich in Quba an, einem Ort etwa zehn Kilometer vor Yathrib. Die Menschen hatten sich auch an diesem Tag in der Mittagshitze zurückgezogen. So war der erste Mann, der die beiden sah, ein Jude, der zufällig auf dem Dach seines Hauses war und von dort aus in ihre Richtung schaute. Vor Begeisterung rief er so laut er konnte in Richtung des Ortes: „Ihr Araber! Er ist gekommen, er ist gekommen!“ Sein Ruf war weithin zu hören. Die Leute eilten sofort hinaus und scharten sich freudig um die beiden Ankömmlinge. Ihre Freude war riesig.

Salman, der Perser

Der Prophet blieb vier Tage in Quba und legte in dieser Zeit den Grundstein für die erste Moschee, die im Islam erbaut wurde. In diesen Tagen traf auch Ali aus Mekka an.

Viele Leute kamen aus Yathrib nach Quba, den Propheten zu sehen, darunter auch einige Juden. Ein bemerkenswerter Besucher war Salman, der junge Perser. Er hatte vor Jahren ähnlich wie die Hunafa’ aus Mekka die Religion seines Volkes verlassen und sich im Irak und in Syrien christlichen Lehrern angeschlossen. Dort hörte auch er viel von dem Propheten, der in Arabien erwartet wurde. Deshalb vertraute er sich einer arabischen Kaufmannskarawane an, die ihn dorthin führen sollte. Sie verkauften ihn jedoch als Sklaven, und als solcher landete er schließlich bei einem Juden von Yathrib. Sein letzter Lehrer hatte ihm erklärt, woran er diesen Propheten erkennen würde. Eines der Zeichen war, dass er Geschenke annehme, aber keine Almosen. Als ihn die Nachricht von der Ankunft des Propheten erreichte, stahl er sich von seinem Dienst fort und packte Speisen ein. Er trat zum Propheten und überreichte ihm die mitgebrachten Speisen als Almosen. Dann beobachtete er, wie der Prophet seine Gefährten davon essen ließ, selbst aber nicht davon probierte. Salman war überglücklich und kehrte zurück zu seinem Dienstherrn, in der freudigen Hoffnung, sich bald dem Propheten anschließen zu können.

Auch eine Delegation aus der Sippe der Najjar, die seine Onkels mütterlicherseits waren, kam und sollte ihn von dort aus zusammen mit vielen anderen nach Yathrib geleiten.

Am darauf folgenden Freitag war es dann soweit. Unterwegs nach Yathrib betete er in einem Tal das erste Freitagsgebet mit vielleicht einhundert Mann. Am Nachmittag trafen sie in Yathrib ein. Dieser Tag war der 12. Rabi’ al-Awwal des Jahres 1 der islamischen Zeitrechnung (14 nach der Berufung; ca. 27. September 622). Die Zeit der Verfolgung und Unterdrückung war vorbei und es begann eine neue Ära mit völlig neuen Herausforderungen.
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[item title="Teil 14 - Eine neue Gemeinschaft entsteht"]
In der Stadt Yathrib war die Ankunft des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, ein Freudenfest. Niemals hatte es zuvor einen fröhlicheren Tag gegeben, wird der junge Anas bin Malik sich Jahrzehnte später erinnern. Alte und Junge, Frauen und Männer säumten die Straßen. „Der Prophet ist gekommen!“ Dieser Ruf war überall in der Stadt zu hören. Mädchen sangen ein Lied, das bis heute bei den Muslimen rund um den Erdball fast jedes Kind kennt. Es begann ein Wetteifern um die Ehre, den Propheten als Gast zu gewinnen. Einzelne und Vertreter von Sippen luden ihn ein, bei ihnen Quartier zu beziehen. Sie griffen nach den Zügeln seiner Kamelstute Qaswa’, um ihn zu sich zu führen. „Lasst sie, denn sie steht unter dem Befehl Gottes.“, sagte er ihnen jedes Mal nur.

Als diese Aussage langsam zu den Leuten in der Menge durchgedrungen war, konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit auf Qaswa’. Sie machten ihr den Weg frei und verfolgten ihren gemächlichen Schritt, bis sie sich auf einem Platz neben einigen Dattelpalmen und der Ruine eines Hauses niederließ. Dort beschloss der Prophet zu wohnen und die Moschee zu bauen. Das Grundstück gehörte zwei Waisen, die er bat, es ihm zu verkaufen. Sie wiesen ab und wollten es ihm schenken. Doch der Prophet bestand darauf, einen Kaufpreis zu zahlen. Ein Mann namens Abu Ayyub hatte derweil aufmerksam einen Augenblick abgewartet, den Propheten doch noch als Gast zu gewinnen. Er band unbemerkt das Gepäck von der Stute los und es in sein nahe gelegenes Haus gebracht. Als die Leute wieder begannen, um den Propheten zu buhlen, sagte er ihnen lächelnd: „Ein Mann bleibt bei seinem Gepäck.“ Abu Ayyub hatte diesen Wettkampf gewonnen. Seit diesem Tag wurde die Oasenstadt Yathrib auch madinatu n-nabiy, die Stadt des Propheten, genannt. Die Abkürzung Medina ersetzte rasch von selbst den alten Stadtnamen.

Brüder und Schwestern

Die Gesellschaft der Stadt bestand nun aus den beiden großen arabischen Sippen Aws und Khazraj, von denen die meisten längst Muslime waren, und den Mekkanern. Die Aws und Khazraj waren die Ansar, zu Deutsch Helfer, die Mekkaner erhielten den Namen Muhajirun, Emigranten. Die neue Glaubensgemeinschaft wuchs schnell zusammen. Der Prophet unterstützte dies, indem er zwischen Einzelnen Männern und Familien, oft Ansar und Muhajirun, verbrüderte. Die Aktion war nicht der Form halber oder für oder für die fromme Unterhaltung im Augenblick gedacht. Familienbande bedeuteten damals bei den Arabern vor allem Verantwortung und soziales Einstehen. In diesem Sinne nahmen die Verbrüderten dieses neue Band ernst. Ein Mann der Ansar, der einen Bruder von den Muhajirun bekommen hatte, nahm diesen nicht nur bei sich als Gast auf, sondern bot ihm an, sein Haus mit ihm zu teilen. Er wollte sich auch von seiner Frau scheiden, damit er sie heiraten konnte. Der Muhajir war aber ein Kaufmann und wollte auf dem Markt sein Glück versuchen. Noch Jahre später würden die Verbrüderten es als selbstverständlich erachten, dem vom Propheten zugewiesenen Bruder einen höheren Erbanspruch zuzugestehen als dem leiblichen, bis im Koran hierzu eine klärende Aussage offenbart wurde. Die Verbrüderung diente nicht nur dem sozialen Ausgleich und der Linderung der Not der besitzlosen Muhajirun.

Sie sollte auch helfen, die festen Sippenblöcke aufzulockern. Dies war wichtig, denn die Gräben vor allem zwischen den Aws und den Khazraj waren tief und längst nicht überwunden. Auch nach der Ankunft des Propheten und ihrem gemeinsamen Eintritt in den Islam, mit dem sie zu Geschwistern im Glauben geworden waren, war die Gefahr des Ausbruchs von Feindseligkeiten noch nicht gebannt. Feinde konnten durch die Erinnerung an die unseligen Zeiten immer wieder Wunden aufreisen und Hass schüren. Mit der Zeit wurde die Einheit der muslimischen Gemeinschaft immer stärker und tiefe Gläubigkeit, Brüderlichkeit und die Liebe zu Gott und Seinem Gesandten ersetzten unwiederbringlich den Geist der alten Zeit der Unwissenheit, der Jahiliyya.

Heimat und Fremde

Yathrib war bekannt für bekannt für ein schlimmes Fieber, das Fremde oft befiel. Als Oasenstadt bekam ihre Luft wahrscheinlich nicht gleich den anderen Arabern, die in trockenen Wüstengegenden wohnten. Auch viele der Muhajirun wurden von dieser Krankheit befallen. Sie waren ohnehin durch die seelische Umstellung, die lange Reise geschwächt und mussten sich noch daran gewöhnen, dass sie vertrieben worden waren und ihre Heimat wahrscheinliche nie wieder zurück bekommen würden. Von eineigen sind Gedichte überliefert, in denen sie von der Heimat und der Krankheit sprachen. Sogar Bilal, der als Sklave in Mekka wegen seines Glaubens gefoltert worden war, verlieh seiner Sehnsucht in einem schönen Gedicht Ausdruck. Aber auch die Muhajirun lebten sich in ihre neue Gemeinschaft ein und fanden hier wie der Prophet für immer ihre neue Heimat.

Die Herzlichkeit und Selbstverständlichkeit, mit der sie die Ansar zur Teilhabe an ihrer gemeinsamen neuen Stadt einluden, erleichterte es ihnen. Aber auch das gemeinsame Bauprojekt und die daraus entstandene Moschee trugen zur Entstehung der Gemeinschaft bei. An den Bauarbeiten beteiligten sich alle, auch der Prophet selbst und sangen dabei heitere Lieder.
Es war die Geburtsstunde der Gemeinschaft, der Umma der Muslime. Was sie einte war der Glaube an den Einen Gott, dessen Botschaft ihnen von Muhammad, Seinem letzten Gesandten, überbracht wurde. Fünfmal am Tag erklang der Ruf des Muezzin, dem sie in die Moschee zum gemeinsamen Gebet folgten. Dort beteten sie alle zusammen in geraden Reihen hinter dem Propheten, dort hörten sie seine Predigten und saßen sie zusammen mit ihm in Sitzungen, in denen er ihnen die Lehren des Himmels mitteilte.
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[item title="Teil 15 - Die Gesellschaft von Medina"]
In der Stadt Yathrib war die Ankunft des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, ein Freudenfest. Niemals hatte es zuvor einen fröhlicheren Tag gegeben, wird der junge Anas bin Malik sich Jahrzehnte später erinnern. Alte und Junge, Frauen und Männer säumten die Straßen. „Der Prophet ist gekommen!“ Dieser Ruf war überall in der Stadt zu hören. Mädchen sangen ein Lied, das bis heute bei den Muslimen rund um den Erdball fast jedes Kind kennt. Es begann ein Wetteifern um die Ehre, den Propheten als Gast zu gewinnen. Einzelne und Vertreter von Sippen luden ihn ein, bei ihnen Quartier zu beziehen. Sie griffen nach den Zügeln seiner Kamelstute Qaswa’, um ihn zu sich zu führen. „Lasst sie, denn sie steht unter dem Befehl Gottes.“, sagte er ihnen jedes Mal nur.

Als diese Aussage langsam zu den Leuten in der Menge durchgedrungen war, konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit auf Qaswa’. Sie machten ihr den Weg frei und verfolgten ihren gemächlichen Schritt, bis sie sich auf einem Platz neben einigen Dattelpalmen und der Ruine eines Hauses niederließ. Dort beschloss der Prophet zu wohnen und die Moschee zu bauen. Das Grundstück gehörte zwei Waisen, die er bat, es ihm zu verkaufen. Sie wiesen ab und wollten es ihm schenken. Doch der Prophet bestand darauf, einen Kaufpreis zu zahlen. Ein Mann namens Abu Ayyub hatte derweil aufmerksam einen Augenblick abgewartet, den Propheten doch noch als Gast zu gewinnen. Er band unbemerkt das Gepäck von der Stute los und es in sein nahe gelegenes Haus gebracht. Als die Leute wieder begannen, um den Propheten zu buhlen, sagte er ihnen lächelnd: „Ein Mann bleibt bei seinem Gepäck.“ Abu Ayyub hatte diesen Wettkampf gewonnen. Seit diesem Tag wurde die Oasenstadt Yathrib auch madinatu n-nabiy, die Stadt des Propheten, genannt. Die Abkürzung Medina ersetzte rasch von selbst den alten Stadtnamen.

Brüder und Schwestern

Die Gesellschaft der Stadt bestand nun aus den beiden großen arabischen Sippen Aws und Khazraj, von denen die meisten längst Muslime waren, und den Mekkanern. Die Aws und Khazraj waren die Ansar, zu Deutsch Helfer, die Mekkaner erhielten den Namen Muhajirun, Emigranten. Die neue Glaubensgemeinschaft wuchs schnell zusammen. Der Prophet unterstützte dies, indem er zwischen Einzelnen Männern und Familien, oft Ansar und Muhajirun, verbrüderte. Die Aktion war nicht der Form halber oder für oder für die fromme Unterhaltung im Augenblick gedacht. Familienbande bedeuteten damals bei den Arabern vor allem Verantwortung und soziales Einstehen. In diesem Sinne nahmen die Verbrüderten dieses neue Band ernst. Ein Mann der Ansar, der einen Bruder von den Muhajirun bekommen hatte, nahm diesen nicht nur bei sich als Gast auf, sondern bot ihm an, sein Haus mit ihm zu teilen. Er wollte sich auch von seiner Frau scheiden, damit er sie heiraten konnte. Der Muhajir war aber ein Kaufmann und wollte auf dem Markt sein Glück versuchen. Noch Jahre später würden die Verbrüderten es als selbstverständlich erachten, dem vom Propheten zugewiesenen Bruder einen höheren Erbanspruch zuzugestehen als dem leiblichen, bis im Koran hierzu eine klärende Aussage offenbart wurde. Die Verbrüderung diente nicht nur dem sozialen Ausgleich und der Linderung der Not der besitzlosen Muhajirun.

Sie sollte auch helfen, die festen Sippenblöcke aufzulockern. Dies war wichtig, denn die Gräben vor allem zwischen den Aws und den Khazraj waren tief und längst nicht überwunden. Auch nach der Ankunft des Propheten und ihrem gemeinsamen Eintritt in den Islam, mit dem sie zu Geschwistern im Glauben geworden waren, war die Gefahr des Ausbruchs von Feindseligkeiten noch nicht gebannt. Feinde konnten durch die Erinnerung an die unseligen Zeiten immer wieder Wunden aufreisen und Hass schüren. Mit der Zeit wurde die Einheit der muslimischen Gemeinschaft immer stärker und tiefe Gläubigkeit, Brüderlichkeit und die Liebe zu Gott und Seinem Gesandten ersetzten unwiederbringlich den Geist der alten Zeit der Unwissenheit, der Jahiliyya.

Heimat und Fremde

Yathrib war bekannt für bekannt für ein schlimmes Fieber, das Fremde oft befiel. Als Oasenstadt bekam ihre Luft wahrscheinlich nicht gleich den anderen Arabern, die in trockenen Wüstengegenden wohnten. Auch viele der Muhajirun wurden von dieser Krankheit befallen. Sie waren ohnehin durch die seelische Umstellung, die lange Reise geschwächt und mussten sich noch daran gewöhnen, dass sie vertrieben worden waren und ihre Heimat wahrscheinliche nie wieder zurück bekommen würden. Von eineigen sind Gedichte überliefert, in denen sie von der Heimat und der Krankheit sprachen. Sogar Bilal, der als Sklave in Mekka wegen seines Glaubens gefoltert worden war, verlieh seiner Sehnsucht in einem schönen Gedicht Ausdruck. Aber auch die Muhajirun lebten sich in ihre neue Gemeinschaft ein und fanden hier wie der Prophet für immer ihre neue Heimat.

Die Herzlichkeit und Selbstverständlichkeit, mit der sie die Ansar zur Teilhabe an ihrer gemeinsamen neuen Stadt einluden, erleichterte es ihnen. Aber auch das gemeinsame Bauprojekt und die daraus entstandene Moschee trugen zur Entstehung der Gemeinschaft bei. An den Bauarbeiten beteiligten sich alle, auch der Prophet selbst und sangen dabei heitere Lieder.
Es war die Geburtsstunde der Gemeinschaft, der Umma der Muslime. Was sie einte war der Glaube an den Einen Gott, dessen Botschaft ihnen von Muhammad, Seinem letzten Gesandten, überbracht wurde. Fünfmal am Tag erklang der Ruf des Muezzin, dem sie in die Moschee zum gemeinsamen Gebet folgten. Dort beteten sie alle zusammen in geraden Reihen hinter dem Propheten, dort hörten sie seine Predigten und saßen sie zusammen mit ihm in Sitzungen, in denen er ihnen die Lehren des Himmels mitteilte.
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[item title="Teil 16 - Der Tag der Klärung"]
Die Götzendiener von Medina

Die Gesellschaft von Medina bestand nicht nur aus den Muslimen. Obwohl der Islam in jedes Haus gedrungen war, befanden sich unter den Arabern noch Leute, die bei der Götzenverehrung ihrer Väter geblieben waren. Der Prophet lud sie weiter zum Islam ein und ließ sie den Koran vernehmen. Anders als die Mekkaner waren sie der neuen Religion gegenüber nicht feindlich gesinnt. Ein Grund dafür war sicherlich auch die Offenherzigkeit und Milde, die die Medinenser insgesamt auszeichnete. Aber auch die politische Lage spielte hierbei eine große Rolle: der Prophet war längst der erste Mann der Stadt war und die Muslime, die große Mehrheit, liebten ihn über alles liebten und folgten ihm entschlossen.

Jetzt auch weltliche Gründe für die Annahme des Islam

Während in Mekka irdischer Gewinn durch die Annahme des Islam nicht zu erwarten war, sondern nur Verfolgung und Verluste, war es Medina nun umgekehrt. Nicht mehr nur der Glaube selbst konnte der Beweggrund für die Konversion zum Islam, sondern auch weltliche Absichten. Im schlimmsten Fall konnten sie sogar dem Islam gegenüber feindlich gesinnt sein und den Glauben an den Propheten vortäuschen.

Ein solcher Fall war Abdulla bin Ubayy. Er gehörte dem Stamm der Khazraj an und sollte vor der Ankunft des Islam in der Stadt zu ihrem Führer ernannt werden. Nach dem letzten blutigen Kampf der beiden Stämme war beschlossen worden, den wackeligen Frieden durch die Ernennung eines gemeinsamen Führers abzusichern. Die Rede war sogar von einem König gewesen und man hatte schon begonnen, Thron und Diadem anzufertigen. Der Prophet hatte ihn um diese Position gebracht, was er ihm übel nahm. Nach anfänglichem Zögern nahm er den Islam vordergründig an und betete mit den Muslimen in der Moschee. In Wirklichkeit wartete er auf eine passende Gelegenheit, um den Propheten doch noch loszuwerden oder den Muslimen in den Rücken zu fallen. Aber der Prophet behandelte ihn und die anderen Heuchler, wie sie genannt wurden, wie ehrliche Muslime und wies auch die Gläubigen an, die Menschen nach dem zu beurteilen, was sie äußern und nach Unterstellungen.

Die Juden in Medina

Neben den Arabern lebten in Medina auch jüdische Stämme. Die meisten von ihnen waren kleinere Clans, die innerhalb der Stadt lebten. Neben ihnen gab es dort drei große Stämme. Die Banu Qainuqa’ lebten in einem befestigten Viertel am südlichen Rand der Stadt, während sich die Siedlungen der Banu Nadhir und Banu Quraida in befestigten Vororten befanden.

Der Prophet schloss mit ihnen Verträge, in denen die Vorherrschaft der Muslime mit dem Propheten als Oberhaupt anerkannt wurde. Die anderen Religionsgemeinschaften sollten unverändert vollständige Autonomie in ihren Angelegenheiten behalten, während die gemeinsame Stadt gemeinsam zu verteidigen war. Der letzte Punkt betraf nach dem weiteren Fortgang der Ereignisse zu urteilen jedoch nur den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass von einem Angriff alle Bewohner der Stadt und ihrer Vororte betroffen sein sollten. Jedenfalls erwarteten die Muslime von den Juden die Unterstützung bei der Selbstverteidigung in keiner der kommenden Kriegsbegegnungen.

Die kleineren jüdischen Stämme im Inneren der Stadt traten dem Vertrag von Anfang an bei. Mit ihnen sollten die Muslime auch in den kommenden Jahren friedlich zusammenleben. Die drei großen Stämme schlossen kurz später separate Verträge mit dem Propheten, die vielleicht auch von dem ersten Vertrag abwichen.

Die drei großen Stämme waren zuvor Bündnispartner der Aws oder Khazraj gewesen. Sie unterstützten sie in ihren Kämpfen mit dem jeweils anderen Stamm als Waffenlieferanten und Kreditgeber. Sie genossen aber auch ein hohes Ansehen als Schriftvolk, das über Wissen verfügte, das den Arabern mangels Propheten nicht zugänglich war. Deshalb waren sie gerne konsultierte Berater. Die Ankunft des Propheten war auch für sie ein Macht- und Bedeutungsverlust. Die sichere Einigung der beiden Kriegsparteien unter der Führung des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, machte sie als Bündnispartner überflüssig, und durch die neue Offenbarung verlor auch ihr Wissen auf einmal seine Bedeutung für die Medinenser.

Erste Expeditionen gegen die Mekkaner

Die wichtigste Aufgabe des Propheten war nach wie vor die Überbringung der göttlichen Botschaft und die Festigung des Glaubens an den Einen Gott. Doch waren die Umstände andere als zur Zeit von Mekka. Aus der Schar der Gläubigen war nun eine große Gemeinschaft mit eigenem politischem Territorium geworden. Und die Feindschaft der Koraisch bestand immer noch. In Mekka wurden alle, die in den Islam eintraten, weiterhin verfolgt. Und sie hatten die Muhajirun nicht nur ihrer Heimat beraubt und sie zur Auswanderung genötigt, sondern praktisch auch enteignet.

Der lange Schatten der Koraisch

Nach Ankunft der Muhajirun warfen die Koraisch den Ansar vor, dass sie ihnen Asyl gewährt hatten. Die Mekkaner wollten sich nicht mit dem Entkommen Muhammads und dem Scheitern ihres Mordplans abfinden. Was sie in Mekka nicht gegen einzelne Muslime innenpolitisch geschafft hatten, mussten sie nun zu Ende bringen. Sie waren in ihrer politischen und religiösen Vormachtstellung in Arabien und damit auch in ihren wirtschaftlichen Interessen bedroht. Also mussten sie handeln.

In einem Schreiben an das Oberhaupt der verbliebenen Götzendiener, Abdullah bin Ubayy, der damals die Annahme des Islam noch nicht vorgab, drohten sie: „Ihr habt unseren Gefährten aufgenommen und wir schwören bei Gott, entweder ihr bekämpft ihn, oder ihr weist ihn aus, oder wir kommen allesamt zu euch und töten eure Krieger und nehmen eure Frauen.“ Sie drohten auch den Muhajirun und selbst der Prophet lebte in Gefahr und ließ sich eine Zeit lang nachts von seinen Gefährten bewachen. Darüber hinaus gelang es ihnen, andere arabische Stämme für eine wirtschaftliche Isolierung von Medina zu gewinnen.

Medina war indessen keine reiche Stadt und hatte darüber hinaus die Ankunft der großen Zahl der Flüchtlinge zu bewältigen, die auch noch von zu Tag anwuchs. Es wird überliefert, dass auch die anderen arabischen Stämme ihre Feinseligkeit zum Ausdruck brachten und es nicht nur bei dem Boykott beließen. Die Muslime in Medina jedenfalls schliefen mit ihren Waffen und waren in ständiger Alarmbereitschaft.

Die Erlaubnis zu kämpfen

In Mekka war dem Propheten auferlegt worden, nicht zu den Waffen zu greifen und er hatte seine Gefährten von bewaffneten Auseinandersetzungen abgehalten. Vor dem Hintergrund der neunen Situation wurde dieses Verbot nun aufgehoben und den Muslimen der Kampf zur Selbstverteidigung mit der Offenbarung des folgenden Koranverses ausdrücklich erlaubt:

Die Erlaubnis [zum Krieg] wurde denen gegeben, die kämpfen, weil ihnen Unrecht geschah. Und Gott hat die Macht, sie zum Sieg zu führen; jene, die schuldlos aus ihren Häusern vertrieben wurden, nur weil sie sprachen: Unser Herr ist Gott.

Der Prophet wollte nicht warten, bis die Koraisch nach Medina marschieren würden und ihnen bis dahin noch Gelegenheit geben, die anderen arabischen Stämme mit sich zu vereinen. Er ergriff die Initiative und entsandte regelmäßig Expeditionen, die die Karawanen der Koraisch auf ihren Handelsreisen auflauern sollten. Er stellte die Expeditionen stets aus Muhajirun zusammen, denn sie waren es, die enteignet und vertrieben worden waren. Die erste Expedition entsandte er bereits etwa sechs Monate nach seiner Ankunft in Medina. Aber alle Expeditionen blieben ohne bewaffnete Auseinandersetzungen und ohne Beschlagnahme von Waren. Sie dienten vielmehr der Demonstration von Stärke und Kampfbereitschaft. Als konkrete Ergebnisse brachten sie Friedensabkommen mit Stämmen in den Einsatzgebieten. Erst nachdem eine mekkanische Expedition gegen die Muslime Nutztiere raubte, schickte der Prophet eine Expedition weit in den Süden, um zwischen Mekka und Taif den Koraisch auf ihrer Handelsroute nach Süden aufzulauern. Bei diesem Einsatz töteten die Muslime einen Koraischiten und nahmen zwei in Gefangenschaft.
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[item title="Teil 17 - Uhud"]
Eine untragbare Situation für Koraisch

Die Mekkaner konnten die Schmach der vernichtenden Niederlage von Badr nicht auf sich sitzen lassen. Obwohl ihre wichtigsten Führer gefallen waren, begannen sie gleich nach ihrer Rückkehr für den nächsten Feldzug gegen Medina zu rüsten. Sie einigten sich auch, auf ihre geretteten Warenladungen aus Syrien zu verzichten und sie zur Finanzierung des nächsten Feldzuges zu verwenden. Eine große Rolle für ihren Entschluss, in den Kampf zu ziehen, spielte auch, dass die Unterbrechung ihrer Handelsroute nach Irak und Syrien durch die Medinenser nun besiegelt war. Auch eine Karawane, die sie über das Landesinnere in den Irak zu bringen versuchten, d.h. über eine völlig ungewöhnliche Route, konnten die Muslime abfangen.

Als sich Badr jährte, hatten sie eine stolze Armee von 3.000 Mann und 200 Reitern zusammengestellt, darunter auch Kämpfer aus anderen verbündeten Stämmen. Der Prophet beriet sich mit seinen Leuten und sie beschlossen, sich nicht in der Stadt belagern zu lassen. Sie rückten Anfang Schuwal 3 n.H. (März 625 n.Chr.) zunächst mit rund 1.000 Mann zum Berg Uhud nördlich von Medina aus. Mitten auf dem Weg begann der Kopf der Heuchler Abdullah bin Ubayy, sich gegen die beschlossene Verteidigungsstrategie zu wenden. Er war, genauso wie der Prophet zunächst auch, dafür gewesen, die Stadt von innen heraus zu verteidigen. Er schaffte es, mit einem großen Teil der Khazraj kehrt zu machen, so dass die Muslime nur noch mit 700 Mann in den Kampf zogen.

„Einige von euch trachten nach dieser Welt“

Trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit konnten die Muslime die mekkanische Übermacht zunächst fast bezwingen und die Angreifer begannen schon zu fliehen. Aber Bogenschützen, die der Prophet auf einem strategischen Hügel positioniert hatte, verließen ihre Position und begaben sich in die Kampfebene. Sie hatten die Flucht der Mekkaner gesehen und wollten sich die Beute nicht entgehen lassen. Ihre Habgier hatte sie den unmissverständlichen Befehl des Propheten missachten lassen. Es war das erste Mal, dass ein Großteil der muslimischen Gemeinde sich in diesem Ausmaß von irdischen Gütern leiten ließ.

Khalid ibn al-Walid, der Anführer der mekkanischen Kavallerie, erkannte die so entstandene Lücke in den Verteidigungslinien der Muslime, führte seine Männer unbehelligt um den Berg herum und setzte von hinten zum erneuten Angriff auf die überraschten Muslime an. Die andere Front der Mekkaner, die sich im Rückzug befand, kehrte zurück. Die Muslime waren somit eingekesselt. Der Kampf wendete sich im Handumdrehen radikal zugunsten der Mekkaner. Sie durchbrachen schnell die zum Teil schon aufgelösten Linien der Muslime. Unter den Muslimen brach ein unsägliches Chaos aus. Sie kämpften in mehrere Richtungen, zum Teil sogar gegeneinander, weil sie in dem Durcheinander Feind von Freud nicht unterscheiden konnten. Der Koran würde in den nächsten Tagen auf seine besondere Art in der 3. Sure (aal imran) von dieser gefährlichen Situation sprechen:

Allah hatte euch Sein Versprechen schon wahr gemacht, als ihr sie mit Seiner Erlaubnis vernichtend schlugt, bis ihr verzagtet und über die Sache strittet und ungehorsam wurdet, nachdem Er euch hatte sehen lassen, was ihr liebt. Einige von euch verlangten nach dieser Welt und andere verlangten nach dem Jenseits. (aal imran; 3; 152)

Einige Muslime rannten in ihrer Flucht den Berg hoch, andere in Richtung Medina. Manche sprachen schon davon, Abdullah bin Ubayy anzurufen, um ihn mit den Mekkanern über eine Kapitulation verhandeln zu lassen.

„Muhammad ist tot!“

Der Prophet, Gottes Segen und Friede über ihn, war mit einer Handvoll Kämpfern auf einem etwas geschützten Beobachterposten geblieben. Von dieser Seite kam die Reiterei des Khalid in die Kampfebene hereingeritten. Als der Prophet sie sah, erkannte er sofort die Gefahr der Lage und rief die Muslime zu sich, wohl wissend, dass er damit Khalids Männer auf sich lenken würde. Die Angreifer erkannten ihre einmalige Chance und wollten sie nutzen, um dem unliebsamen Gegner den lang ersehnten Todesstoß zu versetzen. Der Prophet erlebte die heikelste Situation seines Lebens. Die Kämpfer um ihn herum, unter ihnen auch eine Frau namens Umm Umara, versuchten heldenhaft, ihn gegen die Wucht der mekkanischen Krieger abzuschirmen, aber er bekam dennoch einige gefährliche Verletzungen ab und entkam nur knapp dem Tod.

Die Muslime konnten sich glücklicherweise noch einmal sammeln und eine endgültige Niederlage verhindern. Ihre Verluste waren diesmal viel höher als die der Götzendiener. Unter den Gefallenen war auch der geliebte Onkel des Propheten Hamza, um den er sehr trauerte. Hind, die Frau von Abu Sufian, hatte ihren Vater Utba bin Rabi’a, ihren Onkel und ihren Bruder in Badr verloren und Hamza den geschworen. Sie hatte ihrem Sklaven für seinen Tod die Freilassung versprochen. Nach Abschluss der Kampfhandlungen leitete sie eine Verstümmelungsorgie gegen die Leichen der gefallenen Muslime ein, um ihren Rachedurst zu stillen. Sie soll sogar einen Bissen von Hamzas Leber oder Herz gegessen haben.

„Und wenn ihr geduldig seid, so ist es besser für die Geduldigen.“

Als der Prophet beim Begräbnis der Märtyrer die grauenhaften Verstümmelungen sah, kündigte er aus Entsetzen und im Zorn an, beim nächsten Sieg über sie noch mehr von ihren Gefallenen zu verstümmeln. Hier war Muhammad ganz Mensch und seinem Affekt erlegen. Doch Gott offenbarte ihm folgenden Koranvers, der seinen Affekt zügelte. Er erinnerte ihn daran, dass er doch der Überbringer einer Botschaft war, die über die Schandtaten der Feinde erhaben ist und in der Maß und Gerechtigkeit eherne Prinzipien sind:

Und wenn ihr bestraft, dann bestraft in dem Maße, wie euch Unrecht zugefügt wurde. Wollt ihr es aber geduldig ertragen, dann ist das wahrlich besser für die Geduldigen. Und harre in Geduld aus! Und nur mit Gottes Hilfe wirst du geduldig sein. Sei nicht betrübt über sie und sei nicht unruhig wegen ihrer Ränke. Gott ist mit denen, die Ihn fürchten und die Gutes tun.“ (an-nahl; 16; 126-128)

Diese Worte beruhigten den Propheten und gaben ihm seinen gewohnten Sanftmut wieder. Er bereute seinen Fehler und entschied sich für die mildere Option, die diese Offenbarung eröffnete: Er verbot den Muslimen für die Zukunft diesen widerlichen Brauch.

Die Gefahr ist noch nicht gebannt

Mit dem Abzug der Koraisch war die Begegnung noch nicht zu Ende. Der Prophet befürchtete, dass sie unterwegs beschließen könnten, die Gunst der Stunde zu nutzen und die Muslime in der Stadt anzugreifen. Die Muslime verbrachten diese Nacht in höchster Alarmbereitschaft. Der Prophet gönnte ihnen keine Ruhe und ließ sie gleich am nächsten Morgen ausrücken und etwa acht Meilen vor Medina Stellung beziehen. Dort verbrachten sie drei Nächte und konnten durch das geschickte Streuen von Informationen die Mekkaner von einem erneuten Angriff abhalten, den sie auch tatsächlich vorhatten.

Die Schlacht von Uhud war für die Muslime eine wichtige Lehre. Nachdem sie in Badr auf wundersame Weise gegen eine haushoch überlegene Macht gesiegt hatten, gegen die sie nach materiellen Maßstäben nie eine Chance gehabt hätten, wurden sie durch ihre jetzige Niederlage daran erinnert, dass der Sieg nur von Gott kommt und nicht etwa in ihrer Hand liegt. So wie Er sie in Badr für ihre gerechte und fromme Sache hatte siegen lassen, so ließ Er die Kriegsgunst in Uhud sich gegen sie wenden, als Habgier sie und Übermut sie ungehorsam werden ließen.

Nach Uhud

Die Niederlage von Uhud schwächte das Ansehen der Muslime bei den umliegenden arabischen Stämmen, den Heuchlern und den Juden in Medina. Ein Beduinenstamm bereitete schon kurz danach einen Angriff gegen sie vor, der vereitelt werden konnte. Zweimal wurden friedliche Delegationen des Propheten in den Hinterhalt gelockt und massakriert. Diese beiden Vorfälle, bekannt unter den Stichworten Brunnen von Ma’una und ar-Raji’, gehören zu den schmerzlichsten Erfahrungen der islamischen Entstehungsgeschichte.

Banu Nadhir wollen die Gelegenheit nutzen

Nach Uhud verbargen in Medina vor allem die Juden des Stammes der Banu Nadhir ihre Feindseligkeit nicht mehr. Sie betrachteten die missliche Lage der Muslime als Gelegenheit, den unliebsamen Vormarsch des Islam zu stoppen. Ka’b bin Aschraf, einer ihrer Anführer und ein begnadeter Dichter, hatte schon gleich nach Badr seiner Solidarität mit den Mekkanern poetischen Ausdruck verliehen und die Muslime mit herablassenden Gedichten über ihre Frauen zu provozieren versucht. Es wurde vor aber auch bekannt, dass er im Anschluss an Uhud nach Mekka geritten war, um die Koraisch zu einem erneuten Angriff zu ermutigen. Dabei soll er auch die Hilfe seines Stammes in Aussicht gestellt haben. Der Prophet schickte ein Kommando aus, das ihn umbrachte.

Sein Stamm, die Banu Nadhir, hegte aber weiterhin feindselige Absichten gegen den Propheten und seine Gemeinschaft und offenbarten sie einmal, als der Prophet zu ihnen gekommen war, um sie um Unterstützung beim Aufbringen eines Blutgelds zu bitten. Sie sahen darin eine Gelegenheit, den Propheten selbst zu ermorden. Ihr Mordversuch im Monat Rabi’ al-awwal 4 n.H. (August 625 n.Chr.) misslang. Der Prophet forderte sie daraufhin auf, Medina zu verlassen, worauf sie sich zunächst einlassen wollten. Aber Abddullah bin Ubayy, der Anführer der Heuchler, ermutigte sie, zu bleiben und zu kämpfen und versprach ihnen seine Unterstützung und die eines großen arabischen Stammes, der Ghatafan. Als die Muslime sie belagerten, mussten die Banu Nadhir jedoch feststellen, dass Abdullah sein Versprechen nicht hielt. Sie kapitulierten schließlich und wurden ins Exil geschickt.

„Kein Zwang im Glauben“

Aws und Khazraj lebten in der vorislamischen Zeit in dem Bewusstsein, dass der Glaube ihrer jüdischen Nachbarn besser war als ihr eigener. Deshalb kam es vor, dass Frauen, deren Kinder im Kindesalter starben, Gott gelobten, ihre nächsten Neugeborenen in jüdische Familien zu geben und sie dort jüdisch erziehen zu lassen, wenn sie überleben sollten. Es wird berichtet, dass bei den Banu Nadhir einige Kinder der Ansar lebten, die aus diesem Grund dem jüdischen Glauben angehörten. Ihre Eltern wollten sie bei der Ausweisung zurückbehalten und zum Islam zwingen. Nach der verlässlicheren Überlieferung (Abu Dawud) war dies der Anlass für die Herabsendung des 256. Verses der Sure al-baqara:


“Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der rechte Wandel ist nun klar vom Irrweg. Wer nun die Götzen verleugnet und an Allah glaubt, der hat gewiss den sichersten Halt ergriffen, bei dem es kein Reißen gibt. Und Allah hört und weiß alles.“ (al-baqara; 2; 256)
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[item title="Teil 18 - Die Grabenschlacht"]
Abu Sufian will es noch mal wissen

In den Monaten nach Uhud und Banu Nadhir fanden immer wieder Scharmützel und kleine Razzien gegen angriffslustige und räuberische arabische Beduinenstämme der Umgebung statt. Aber die Hauptfront war immer noch die mit den Mekkanern. Abu Sufian hatte nach Uhud noch auf dem Schlachtfeld einen „Folgetermin“ in Jahresfrist ausgerufen. Sie marschierten dann tatsächlich im Monat Schaaban 4 n.H. mit einer Truppe von zweitausend Mann auf Medina zu. Die Muslime rückten ebenfalls aus und positionierten sich bei Badr. Die Koraisch machten aber auf halbem Wege kehrt und der Zusammenstoß blieb aus. Vielleicht hatte Abu Sufian eingesehen, dass die Siegesschancen für die Muslime eher besser standen als für sie selbst. Hatten sie nicht bei Badr einen überragenden Sieg gegen das hochgerüstete Heer der Mekkaner errungen und sie auch bei Uhud zunächst sicher in die Flucht geschlagen? Da war es vielleicht doch besser, den Ruhm von Uhud und das Machtgleichgewicht nicht aufs Spiel zu setzen. Danach folgten einstweilen auch keine Kriegsvorbereitungen mehr. Das Kriegsbeil zwischen Mekka und Medina schien einige Monate lang begraben zu sein.

Das Schicksal des Islam soll besiegelt werden

Die Anführer der Juden von Banu Nadhir hatten sich hingegen mit ihrem Schicksal im Exil von Khaibar und dem offenkundigen Aufstieg des Islam nicht abgefunden. Sie setzten unter der Federführung von Huyay bin Akhtab alle ihre diplomatischen Künste ein, um eine Allianz aus den Feinden von Medina zu schmieden. Sie konnten die Koraisch und die Beduinenstämme des Najd für ihren Plan schnell gewinnen, würden sich diesmal doch endlich alle Verteidiger der bestehenden Ordnung endlich in ihrem Kampf verbünden, statt wie bisher einzeln gegen diese ungewöhnliche Macht zu kämpfen. Am Ende konnten sie eine Armee von mehr als 10.000 Kriegern mobilisieren. Das war eine so große Übermacht, dass sie sich des Sieges sicher waren. Die Muslime könnten sich zwar wehren, aber mit ihren höchstens 3.000 Kriegern würden sie sicher bald unterliegen. Die Angreifer könnten die Stadt einnehmen und die Religion Muhammads ein für allemal ausmerzen.

Für die Koraisch würde der gemeinsame Sieg ihre herausragende Rolle und ihr angeschlagenes Ansehen als Führungsmacht in Arabien wiederherstellen. Für die Banu Nadhir, die nicht selbst militärisch an der Unternehmung teilnehmen wollten, war dies der Weg zurück aus der Verbannung in ihr angestammtes Stadtviertel. Die anderen arabischen Stämme, vor allem die Stämme der Ghatafan aus der Region des Najd östlich von Medina und Mekka, sahen hierin ebenfalls eine Gelegenheit, die Etablierung der neuen Großmacht zu verhindern und sich zudem die fruchtbaren Ländereien von Medina anzueignen. Der Gang der Geschichte der arabischen Halbinsel hin zum sicheren Ende einer kurzen Episode schien aus der Sicht der Angreifer unaufhaltbar.

Die rettende Idee aus Persien

In Medina beriet sich der Prophet gleich nach Eintreffen der Nachricht vom Anrücken der feindlichen Heere mit seinen Gefährten. Unter ihnen war auch Salman, jener Perser, der in seiner Heimat aufgebrochen war, um nach der wahren Religion zu suchen. Die Muslime hatten bald nach der Ankunft des Propheten aus Mekka von seinem Dienstherrn aus den Banu Nadhir freigekauft. Nun machte er den Vorschlag, so vorzugehen, wie die Perser in so einem Fall vorgegangen wären: einen Graben vor der Stadt auszuheben, der die Angreifer vor dem Eindringen zurückhalten würde. Für Arabien war dies eine bislang unbekannte Innovation. Die Muslime folgten seinem Rat und alle, auch der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, fingen gleich mit der mühsamen Arbeit an. Der Graben musste schnell ausgehoben werden, denn die feindlichen Heere waren schon unterwegs.

Medina hatte die günstige Lage, im Osten, Süden und Westen von Bergen und Palmenhainen eingeschlossen zu sein. Die einzige offene Flanke war der nördliche Zugang, so dass es reichte, den Graben dort auszuheben. Im Südosten am Fuße des Berges lag auch ein möglicher Zugang, dort befand sich jedoch die Siedlung des jüdischen Stammes der Banu Quraida. Sie waren an ihren Vertrag mit den Muslimen gebunden und hatten bisher auch keine Anzeichen gemacht, vertragsbrüchig zu werden. Jedenfalls kann man aus dem Geschehen schließen, dass die Muslime ihnen voll vertrauten.

"Allah und Sein Gesandter haben uns nur Trug versprochen."

Der Graben war rechtzeitig ausgehoben worden, als das Heer der Koraisch mit 4.000 Mann im Monat Schuwal des Jahres 5 n.H. (Februar 627) ankam. Sie stationierten sich nordwestlich von Medina. Kurz nach ihnen trafen die Ghatafan mit einem Heer von 6.000 Mann ein und schlugen ihr Lager nordöstlich von Medina auf. Mit dem Graben hatten sie jedoch nicht gerechnet und er warf sie aus dem Konzept. Sie konnten außer einigen Scharmützeln nichts unternehmen. Nur ein paar Reitern gelang es, ihn zu überwinden, aber sie wurden entweder getötet oder mussten fliehen, ohne etwas zu erreichen.

Es blieb den Koraisch und ihren Verbündeten nur die Belagerung. Nach einigen Wochen gingen den Muslimen tatsächlich die Vorräte aus und die Taktik der Angreifer drohte aufzugehen. Zur Angst vor den gewaltigen Heeren vor der Stadt kam nun auch der Hunger. Der Graben konnte nur zum Teil beruhigen, denn er war einerseits ungewohnt und andererseits wurde er immer wieder gefährlich attackiert. Bisher konnten alle Angreifer zurückgeschlagen werden, aber was wäre, wenn sie ihn doch noch überwinden würden? Die Heuchler ergriffen die Gelegenheit, die Kampfmoral in der Stadt zu schwächen und den nahenden Untergang heraufzubeschwören:

Als die Heuchler und die, in deren Herzen Krankheit war sagten: "Allah und Sein Gesandter haben uns nur Trug versprochen." Und als eine Gruppe von ihnen sagte: "Ihr Leute von Yathrib, ihr könnt hier nicht standhalten, darum kehrt zurück." (al-ahzab; 33; 12-13)

Banu Quraida werden doch vertragsbrüchig

Die Brenzligkeit der Lage wurde noch verschärft, als es dem großen Strategen dieses Feldzugs, Huyay bin Akhtab aus dem Stamm der Banu Nadhir, gelang, die Banu Quraida zu dem Entschluss zu bewegen, ihren Vertrag mit dem Propheten zu brechen und den Muslimen in den Rücken zu fallen. Für die Muslime war dies eine mörderische Entwicklung: Sie wären durch den Graben an der Flucht in den Norden gehindert, die Mekkaner und die Ghatafan könnten die Flanke wechseln und aus dem Süden in die Stadt einfallen – und ihr angestauter Hass ließe keine Barmherzigkeit erwarten.

Die Führung der Banu Quraida hatte sich zunächst standhaft gegen die Anstachelungen des Huyay gewehrt, aber schließlich waren auch sie der Verführung des sicheren und endgültigen Sieges erlegen. Sie begannen, ihre Spione in die Stadt zu schicken um Möglichkeiten des Einfalls zu erkunden. Der Prophet und sein engster Beraterkreis erfuhren schnell von dem Umkippen der Banu Quraida und versuchten sie umzustimmen. Aber sie waren sich des Sieges anscheinend so sicher, dass sie den Gesandten des Propheten nur mit Übermut und Häme begegneten: „Wir kennen keinen Gesandten Gottes. Wir wissen von keinem Vertrag!“

„Als eure Herzen in die Kehlen stiegen“

Inzwischen hatten die feindlichen Reiter den Graben an einer Stelle überwunden und versuchten nun immer wieder den endgültigen Durchbruch. Im Süden verfolgten die Angreifer zusammen mit den Banu Quraida den Plan, von dort her in die ungeschützte Stadt einzudringen. Die Muslime waren gezwungen, ihre Truppen aufteilen und einen Teil zum Schutz der Stadt vom Graben abziehen. Dadurch erhöhten sich die Einsatzzeiten der Verbliebenen. Hinzu kam, dass die Nahrungsvorräte zur Neige gingen und die Nächte windig und sehr kalt waren. Die Kämpfer waren erschöpft und Verzweiflung begann sich unter ihnen breit zu machen. Es waren die Tage, in denen laut Koran ihre

Blicke sich abkehrten und die Herzen in die Kehlen stiegen und ihr Gedanken fasstet wider Gott. Daselbst wurden die Gläubigen geprüft und von mächtigem Zittern ergriffen. (Sure al-ahzab, 23; 10-11)

Misstrauen

Die Rettung kam von völlig unerwarteter Seite. Ein Mann namens Na’im bin Mas’ud aus einem der Stämme der Ghatafan, der großes Vertrauen bei den Koraisch und bei den Juden der Banu Quraida genoss, war schon zuvor von der Botschaft des Propheten und von seiner besonderen Gemeinschaft beeindruckt gewesen. Diesmal schloss er den Glauben in sein Herz und sprach das islamische Glaubensbekenntnis. Bei den Götzendienern galt er jedoch noch als einer der Ihren, und so gelang es ihm, Misstrauen zwischen den Koraisch und den Banu Quraida zu säen. Die Banu Quraida hatten nun Angst, im Kampf mit den Muslimen allein stehen gelassen zu werden. Die Koraisch ihrerseits glaubten, die Banu Quraida seien wieder vertragstreu.

Gleichzeitig waren auch die feindlichen Krieger erschöpft und auch sie litten unter der Kälte der Nächte. Und Gott schickte nun nach einem Monat nervenaufreibender Belagerung Seine Hilfe: ein kalter und heftiger Sturm, der die Zelte der Koraisch abriss und ihre Kampfmoral endgültig zerstörte. Abu Sufian war der Erste, der auf sein Pferd stieg und die Rückreise antrat. Unabhängig von ihnen hatten auch die Ghatafan ihr Lager abgebrochen.

Das schlimme Ende der Banu Quraida

Banu Quraida blieben nun tatsächlich allein zurück und mussten sich für ihren schlimmen Verrat verantworten. Der Prophet befahl gleich nach dem Rückzug der Belagerer den Marsch zu ihrer Banu Quraida. Die Muslime belagerten sie fast einen Monat lang, bis sie sich bedingungslos ergeben mussten.
Der Prophet ließ ihrem Wunsch gemäß Sa’d ibn Mu’adh das Urteil über sie sprechen. Doch Sa’d verurteilte die Kämpfer alle zum Tode und ihre Frauen und Kinder zur Versklavung.
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[item title="Teil 19 - Der Vertrag von Hudaybiya"]
Der Traum des Propheten

Die Grabenschlacht und die Belagerung der Banu Quraida fanden gegen Ende des 5. Jahres n.H. (Februar/März 627 n.Chr.) statt. Die Konfrontation mit den Koraisch legte sich wieder wie zuvor, die arabischen Stämme der Ghatafan würden in absehbarer Zeit Medina sicher auch nicht mehr angreifen und die Juden der Banu Nadhir, die zurzeit bei ihren Glaubensbrüdern in Khaibar untergekommen waren, würden keinen Alleingang wagen. Abgesehen von kleineren Scharmützeln mit einigen arabischen Stämmen war das folgende Jahr vergleichsweise ruhig.

Der Prophet, Allahs Segen und Frieden über ihn, hatte in diesem Jahr einen Traum, in dem er zusammen mit seinen Gefährten in der Heiligen Moschee von Mekka war und die rituellen Stationen der kleinen Wallfahrt (Umra) vollzog. Als er seinen Gefährten davon erzählte, war ihre Freude groß, denn Träume von Propheten kommen Offenbarungen gleich.

Im Monat dhu l-Qa’da des Jahres 6 n.H. (März 628 n.Chr.) machte sich der Prophet zusammen mit etwa 1.400 Muslimen auf den Weg nach Mekka. Für die Mekkaner entstand dadurch eine schwierige Situation. Einerseits mussten sie gemäß dem arabischen Brauch und ihrer Rolle als Hüter des Heiligtums allen Pilgern den Zugang zur Moschee erlauben – zumal in einem heiligen Monat wie diesem. Andererseits käme dies aber der Anerkennung des muslimischen Gemeinwesens gleich und der Prophet hätte sich durchgesetzt, nachdem sie ihn vertrieben hatten. Sie entschieden, ihnen die Wallfahrt zu verwehren und schickten ihnen Kampftrupps entgegen.

„Kein Herrscher, der von seinen Leuten so verehrt wird wie Muhammad.“

Ein Mann aus dem seit jeher mit der Sippe des Propheten befreundeten Stamm der Khuza’a kam zu ihm, um als unparteiischer Dritter zu vermitteln. Der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, teilte ihm mit, dass sie in friedlicher Absicht als Pilger gekommen seien. Die Koraisch seien erschöpft von den Kämpfen und er würde warten, bis sie ihnen den Weg zur Moschee freimachen würden. Doch wenn sie kämpfen wollten, dann wären die Muslime zum Kampf entschlossen.

Die Koraisch gingen darauf nicht ein und versuchten Zeit zu gewinnen. In ihrer Ratlosigkeit schickten sie lediglich nacheinander andere Botschafter zum Propheten, die ihnen jedes Mal die friedliche Absicht der Muslime bestätigten und rieten, sie zur heiligen Stätte hereinziehen zu lassen. Einer von ihnen, der bei den Muslimen provokant aufgetreten war, war von ihnen sehr beeindruckt und berichtete den Leuten in Mekka: „Ich habe den Kaiser von Byzanz und den Herrscher von Persien mit all ihrem Pomp gesehen, aber ich habe noch keinen Mann gesehen, der so verehrt wurde wie Muhammad von seinen Leuten.“

Die Älteren Herren von Mekka waren in der Tat kriegsmüde und neigten zum Frieden. Sie suchten offenbar nur nach einem Weg, ihr Gesicht zu wahren. Einige Jüngere versuchten aber den Kampf zu provozieren. Eine Gruppe von etwa siebzig von ihnen versuchte, die Muslime in ihrem Lager zu überfallen und so vielleicht durch das Töten einiger Muslime den Propheten in den Kampf zu zwingen. Aber den Muslimen gelang es, Blutvergießen zu verhindern und die Angreifer alle festzunehmen. Sie übergaben sie als Zeichen des guten Willens an die Koraisch.

„Warum lassen wir uns so demütigen?“

Die Zuspitzung der Situation ereignete sich erst nachdem der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, Uthman ibn Affan als Botschafter in die Stadt geschickt hatte. Es war, als das Gerücht von seiner Ermordung den Propheten erreichte, dass er, unter einem Akazienbaum sitzend, seinen Kameraden den Eid abnahm, dass sie alle zusammenstehen würden. Später sandte Gott im Koran einen Vers herab, der von diesem Treueschwur spricht:

Gott hatte Wohlgefallen an den Gläubigen, als sie dir unter dem Baum die Treue schworen; und Er wusste, was in ihren Herzen war, und Er sandte die Ruhe auf sie herab und belohnte sie mit einem nahen Sieg. (al-fath; 48; 18)

Seither ist dieses Ereignis als „der Treueschwur des Wohlgefallens“ bekannt. Die Sahaba, die dem Propheten diesen Treueid gaben, wurden auch die „Leute der Akazie“ genannt.

Die Koraisch erfuhren von dem Entschluss zum Angriff und bemühten sich nun ihrerseits, den Zusammenstoß doch noch durch ein Abkommen zu verhindern. Sie schickten nun endlich einen Gesandten mit dem Auftrag, einen Vertrag auszuhandeln. Sie bestanden jedoch darauf, die Muslime in diesem Jahr die Wallfahrt nicht vollziehen zu lassen, da die Araber sonst sagen würden, der Prophet sei gegen ihren Willen in die Stadt eingedrungen. Es wurde ein Abkommen geschlossen, das vier Punkte enthielt:

    die Muslime kehren diesmal zurück und dürfen erst in einem Jahr wieder nach Mekka pilgern,
    ein zehnjähriger Waffenstillstand,
    Bündnisfreiheit für die anderen arabischen Stämme; Verbündete genießen denselben Schutz wie die Bündnispartner selbst,
    Männer, die aus Mekka zum Propheten flüchten, werden von ihm zurückgewiesen, während Flüchtlinge aus Medina nach Mekka nicht zurückgewiesen werden.

Der erste und der vierte Punkt widersprachen dem Gerechtigkeitsgefühl der mitgereisten Sahaba. Sie konnten die Entscheidung des Propheten nicht nachvollziehen. Der temperamentvolle Omar ging zu ihm und stellte ihm missbilligend die Frage: „Warum lassen wir uns in unserer Religion so demütigen?“ Der Unmut der Gefährten wurde noch dadurch verstärkt, dass noch während der Niederschrift des Vertrags ein junger Mann aus Mekka geflohen kam und der Prophet ihn zurückweisen musste.

Ein offenkundiger Sieg

Bei näherem Hinsehen erkennt man jedoch den klaren Vorteil des Abkommens für die Muslime. Mit dem Waffenstillstand gaben die Koraisch nämlich ihren Kampf gegen den Islam endgültig auf und der Prophet konnte die Offenbarung nun ungestört verkünden. Durch die Bündnisfreiheit gaben die Koraisch zudem ihren Vormachtanspruch unter den Arabern auf. Der letzte Punkt diente mehr der Gesichtswahrung der Mekkaner und war weniger von substanzieller Bedeutung. Der Prophet wusste ja, dass die Gläubigen sich durch Verfolgung nicht von ihrem Glauben abbringen lassen würden. Wenn hingegen jemand Medina den Rücken kehren sollte – die Fälle waren an der Hand abzählbar –, dann erlaubte dies die Glaubensfreiheit ohnehin.

Ein Problem wären allerdings konvertierte Frauen aus Mekka. Sie hätten es sicher schwerer gehabt, der Verfolgung in Mekka zu entrinnen. Als einer Gruppe von Frauen kurz nach der Unterzeichnung des Vertrags die Flucht zum Lager der Muslime gelang und die Delegierten der Koraisch ihre Abweisung forderten, bestand der Prophet vielleicht deshalb darauf, dass der Vertrag nur von Männern sprach und lies sie mitreisen. Trotz alledem verstanden die meisten Muslime nicht, warum die Sure al-fath (der Sieg), die dem Propheten auf der Rückreise offenbart wurde, diese Episode einen „offenkundigen Sieg“ nannte.

Wir haben dir einen offenkundigen Sieg verliehen, damit Allah dir deine vergangene und künftige Schuld vergebe, und damit Er Seine Gnade an dir vollende und dich auf einen geraden Weg führe, und damit Allah dich mit einem mächtigen Beistand unterstütze. (al-fath; 48; 1-2)

Dies wurde erst nach und nach in den folgenden zwei Jahren deutlich. In den vergangenen Jahren hatte der Krieg als Barriere zwischen den Muslimen und den Götzendienern gestanden. Jetzt, da Frieden herrschte, begegneten sie sich nicht als Feinde, sondern als Menschen. Der Islam breitete sich in diesen Jahren sehr schnell aus.
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[item title="Teil 20 - Die Unterwerfung der Parteien der Grabenschlacht"]
Khaibar wird eingenommen

Zwei Fronten standen nach dem Vertrag von Hudaybiya unverändert: Die Juden von Khaibar, die zusammen mit den dort ansässigen Banu Nadhir die Grabenschlacht organisiert hatten und die gossen Beduinenstämme der Ghatafan in der weitläufigen Najd-Ebene, die zusammen mit den Koraisch ihrer Initiative gefolgt waren. Der Prophet marschierte zu Beginn des Jahres 7 n.H. (Mai 628 n.Chr.) nach Khaibar und nahm nur jene 1.400 Männer des „Treueids des Wohlgefallens“ mit. Khaibar erfuhr von dem Vorhaben und rief die ehemaligen Verbündeten der Ghatafan-Stämme um Hilfe. Sie versprachen ihnen für den Fall des Erfolgs die Hälfte ihrer reichen Ernteerträge. Ein Stamm der Ghatafan schickte eine Truppe auf den Weg. Aber den Muslimen gelang es durch geschicktes Manövrieren, ihnen vorzutäuschen, sie hätten sie hinausgelockt um ihre ungeschützten Siedlungen zu überfallen, und sie kehrten auf halbem Wege zurück.

Khaibar bestand aus mehreren Festungen. Die Taktik der Muslime war, die Festungen nacheinander einzunehmen, denn gegen alle zusammen hätten sie wohl keine Chance gehabt. Deshalb marschierten sie schnell auf und griffen jeweils eine Festung mit der Hauptfront an, während ein kleinerer Teil des Heeres die verbleibenden Festungen beschäftigen sollte. Dann rückten sie zur jeweils nächsten Festung vor. Nach etwa drei Wochen waren alle acht Festungen eingenommen.
Zu Khaibar gehörten reiche landwirtschaftliche Ländereien, vor allem Dattelhaine. Der Prophet vereinbarte mit den Leuten von Khaibar, dass sie für die Hälfte der Ernte dort bleiben durften. Dasselbe geschah mit den umliegenden jüdischen Stämmen.
Der Sieg von Khaibar hatte für Medina auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Das scheint den Leuten von Medina auch schon vor dem Feldzug klar gewesen zu sein, denn diesmal wollten alle Medinenser an ihm teilnehmen, auch die Heuchler, die sich sonst vor Kampfeinsätzen zu drücken versuchten.

Die Beduinenstämme des Najd

Nach Khaibar blieb nun die dritte Gruppe der Feinde, die sich zur Grabenschlacht versammelt hatten: Die Beduinenstämme der Ghatafan. Sie waren nicht so organisiert wie die Mekkaner oder die Juden von Khaibar. Deshalb war es schwieriger, sie ein für allemal zu bezwingen. Als der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, erfuhr, dass einige von ihnen einen Raubangriff auf Medina planten, rückte er schnell mit einigen Hundert Männern zu ihnen aus, bevor sie sich noch versammeln konnten. So kam es auch zu keinem Kampf, aber diese Machtdemonstration der Muslime hatte dieselbe Wirkung: Die Beduinen ließen von Angriffen und Überfällen weitgehend ab. Im Gegenteil: Sie wandten sich immer mehr dem Islam zu.

Die "Abessinier" kehren zurück

Während des Kampfes um Khaibar traf Ja’far, der Vetter des Propheten, zusammen mit den Männern und Frauen, die nach Abessinien geflohen waren, in Medina ein. Sie waren mehr als dreizehn Jahre im Exil gewesen. Die Freude über ihre Ankunft war groß. Es gab auf beiden Seiten viel zu erzählen – und zu diskutieren. Es wird berichtet, dass Omar seine Tochter Hafsa besuchte und bei ihr Asma’ bint Umais antraf, Ja’fars Frau. Als er erfuhr, wer sie war, fragte er höhnisch: „Ist das die Abessinierin? Ist das die Frau vom Meer?“ Dann behauptete er: „Wir sind euch mit der Hijra zuvorgekommen, also haben wir einen größeren Anspruch auf den Gesandten Gottes als ihr!“ Asma’ warf ihm zurück: „Ganz im Gegenteil! Ihr wart beim Gesandten Gottes, der euch umsorgt und betreut hat, während wir in der Fremde weit weg ausharren mussten. Und das alles für Gott und für seinen Gesandten!“ Sie nahm ihn zum Propheten mit, um die Sache vor ihn zu bringen.
Im selben Jahr vollzog der Prophet zusammen mit etwa 2.000 Muslimen auch die Pilgerfahrt nach Mekka, so wie es mit den Koraisch ausgehandelt worden war.

Mu’ta

Inzwischen war den Großmächten im Norden, Byzanz und Persien, der Aufstieg des Islam nicht verborgen geblieben. Beide hatten unter den arabischen Stämmen Vasallen, vor allem in den Randgebieten der Halbinsel. Der Prophet selbst hatte nach Hudaybiya seine Gesandten zu den Herrschern der umliegenden Reiche von Bahrain bis Ägypten und vom Jemen bis nach Syrien und Persien geschickt, ihnen die Botschaft des Gesandten Gottes zu überbringen.

Ein arabischer Statthalter der Byzantiner aus dem Stamm der Ghassan nahm den Botschafter des Propheten fest und tötete ihn. Dies war der Anlass für die größte und gefährlichste Expedition, die der Prophet je entsandte. Im Jumada Awwal des Jahres 8 n.H. (August/September 629) entsendete er ein Heer von 3.000 Mann zu den Ghassan. Als ihre Führer ernannte er drei Männer, die sukzessive die Heeresführung übernehmen sollten, wenn die jeweils anderen fallen sollten.

Dem Propheten war klar, dass Byzanz dem Vasallenstamm zu Hilfe eilen würde und er stellte sich und die Muslime auf hohe Verluste ein. Die Expedition schien aber notwendig, denn es galt, diese Großmacht abzuschrecken, bevor sie zum Kampf gegen die Muslime aufmarschieren würde. Denn Byzanz hatte gerade einen glorreichen Sieg gegen die Perser errungen und hätte jetzt allen Grund und die Kapazitäten, die entstehende Macht des Islam einzudämmen.

Die Muslime standen mit 3.000 Mann einer gigantischen Übermacht gegenüber. Überlieferungen berichten von 200.000 gut gerüsteten und kampferprobten Byzantinern. Der Kampf war erbittert und die Muslime verloren alle ihre drei Anführer. Sie bestimmten den unübertroffenen Feldherren Khalid ibn al-Walid, der sich vor kurzem der Gemeinschaft des Propheten angeschlossen hatte, als ihren neuen Anführer. Es gelang ihnen am zweiten Tag, den Feinden durch geschickte Manöver eine viel größere Zahl und die Ankunft einer Verstärkung vorzutäuschen. Als die Muslime dann einen geordneten Rückzug antraten, fürchteten die Byzantiner, sie versuchten sie damit in eine Falle in der Wüstenebene zu locken und sahen von ihrer Verfolgung ab.

Am Ende war diese Niederlage doch ein nicht zu unterschätzender Sieg für die Muslime. Nicht nur dass sie mit ihren 3.000 Mann einer ganzen Armee standhalten konnten, sondern auch das Eintreten der abschreckenden Wirkung ihres Feldzugs waren große und wichtige Erfolge.
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[item title="Teil 21 - Die Rückkehr nach Mekka"]
Koraisch werden vertragsbrüchig

Mu’ta hatte den Muslimen gezeigt, dass die Mekkaner und die arabischen und jüdischen Stämme aus der unmittelbaren Umgebung nicht die einzigen waren, die die Ausbreitung des Islam nicht tatenlos hinnehmen würden. Deshalb war der Waffenstillstand mit den Koraisch ein umso wichtigerer Erfolg für die muslimische Gemeinschaft. Allerdings war dieser Frieden nicht von Dauer. Schon anderthalb Jahre nach seiner Unterzeichnung kam es zu einem Vertragsbruch durch die Koraisch, in den sie durch ihre Bündnispartner hineingezogen wurden. Der Vertrag von Hudaybiya hatte allen arabischen Stämmen Bündnisfreiheit gegeben. Die Khuza’a waren daraufhin offizielle Verbündete des Propheten geworden, die Banu Bakr waren schon lange Verbündete der Koraisch. Beide Stämme lebten in der Nachbarschaft von Mekka und zwischen ihnen bestanden seit geraumer Zeit Feindseligkeiten.

Die Khuza’a respektierten den Waffenstillstand, der auch für die Verbündeten der Vertragpartner galt. Die Banu Bakr aber nutzten diesen Umstand, um alte Rechnungen zu begleichen. Sie griffen die Khuza’a an und töteten einige von ihnen. Die Koraisch unterstützten sie mit Waffenlieferungen, einige Männer von ihnen beteiligten sich sogar direkt an den Kämpfen. Khuza’a flohen in den Schutz des Heiligen Bezirks von Mekka, in dem das Blutvergießen nach arabischen Brauch streng verboten war. Aber die Banu Bakr setzten sich über dieses Verbot hochmütig hinweg und es kam zu einem Massaker an den überwältigten Khuza’a.

Abu Sufian ist überwältigt

Abu Sufian begriff gleich nach dem Geschehen, dass die Koraisch vertragsbrüchig geworden waren. Und er hatte kein Interesse an einer erneuten Konfrontation. Er eilte sofort nach Medina und bat den Propheten, einer Verlängerung des Vertrags zuzustimmen. Damit wäre die Affäre Banu Bakr stillschweigend hingenommen worden. Der Prophet hatte jedoch schon während der Kämpfe von den Vorfällen erfahren. Er ließ ihn mit leeren Händen heimkehren, ohne ihm mitzuteilen, dass er schon unterrichtet war.

Unterdessen hatte der Prophet, Gottes Segen und Frieden über ihn, bereits mit den Vorbereitungen für einen Feldzug gegen Mekka begonnen. Er achtete diesmal streng auf die Geheimhaltung des Vorhabens, um die Mekkaner zu überraschen und so Blutvergießen zu verhindern. Dies gelang denn auch. Erst als sie vor den Toren von Mekka lagerten, erfuhr Abu Sufian von dem Aufmarsch. In der letzen Nacht vor dem Einmarsch in die Stadt konnte er von einer Anhöhe aus ein beeindruckendes Meer von Lagerfeuern des muslimischen Heeres betrachten. Es war mit 10.000 Mann das bei weitem größte Heer, das die Muslime bisher zusammengestellt hatten. Der Prophet hatte die Kämpfer in dieser Nacht zudem absichtlich viele Lagerfeuer anzünden lassen, um sie in den Augen des Feindes noch viel zahlreicher erscheinen zu lassen. Die Koraisch sollten nicht nur überrascht, sondern auch gründlich eingeschüchtert werden, um Kämpfe im Heiligen Bezirk möglichst zu verhindern.

Der letzte Zweifel im Herzen des Abu Sufian

Der Onkel des Propheten, Abbas, der nach den meisten Überlieferungen erst vor einigen Tagen den Islam angenommen hatte und zum Propheten gestoßen war, suchte seinen Freund Abu Sufian auf und überredete ihn, zum Propheten zu gehen. Er sollte sich mit ihm einigen, bevor er in die Stadt einmarschieren würde. Der Prophet fragte ihn, als er bei ihm im Zelt saß: „Abu Sufian, ist für dich denn nicht schon längst die Zeit gekommen, zu erkennen, dass es keinen Gott gibt außer Allah?“ Abu Sufian antwortete: „Du bist edel und großzügig! Wenn es andere Götter gäbe als Ihn, sie hätten uns dies doch erspart.“ Doch als es zum Glauben an den Gesandten kam, bekannte Abu Sufian, dass er in diesem Punkte nicht frei von Zweifeln sei. Auf Drängen von Abbas sprach Abu Sufian dennoch das Glaubensbekenntnis.

Der Prophet wollte aber nicht Abu Sufians Lippenbekenntnis. Er wollte ihn wirklich auf seine Seite gewinnen und bat ihn, sein Volk vom Griff zu den Waffen abzuhalten. Außerdem erklärte er die Moschee, die Privathäuser und das Haus von Abu Sufian zu sicheren Orten. Dadurch blieb Abu Sufian der Gesichtsverlust halbwegs erspart, auch wenn ihn seine Frau Hind auslachte, als er ihr stolz davon berichtete.

Durch alle diese Maßnahmen gelang es tatsächlich, Mekka ohne nennenswertes Blutvergießen einzunehmen. Einige junge Männer aus angesehenen Familien hörten nicht auf den Rat von Abu Sufian und versammelten das Gesinde der Stadt zum Kampf. Die Gruppe wurde aber rasch auseinander gesprengt. Neben ein paar von ihnen, die dabei im Kampf getötet wurden, nannte der Prophet noch einige Männer und Frauen der Koraisch, die sich besonders verbrecherisch verhalten hatten und getötet werden sollten.

„Geht in Freiheit!“

Der dir den Koran aufgebunden hat, Er wird dich zur Stätte der Wiederkehr zurückbringen. (al-qasas; 28; 85)

Nach der anerkannteren Meinung der frühen Koranexegeten ist dieser Satz dem Propheten offenbart worden, als er auf der Flucht nach Medina war. Er hatte mit Abu Bakr die Höhle verlassen und konnte von einer Anhöhe aus in der Ferne Mekka sehen. „Du bist Gottes liebstes Stück Erde,“ hatte er gesagt, „und bei Gott, wenn mich dein Volk nicht aus dir vertrieben hätte, ich hätte ich nicht verlassen.“ „Er wird dich zur Stätte der Wiederkehr zurückbringen“ war demnach Gottes Versprechen, ihn zu eben dieser Heimat zurück zu führen.

Heute war es soweit. Die Einnahme der Stadt war ein ebenso ruhiges wie triumphales Ereignis. Vor allem gelang es dem Propheten, nach so langer Feindschaft die Herzen seiner ehemaligen Landsleute zu gewinnen. Irgendwie schien die Zeit wiedergekommen zu sein, als ganz Mekka den Propheten „al-Amin“, den Vertrauenswürdigen, nannte. Er stellte sich in die Moschee vor die versammelten Mekkaner. Er eröffnete wie gewohnt mit dem Dank an Gott, der Sein Versprechen eingehalten und seinem Diener zum Sieg verholfen hätte. Dann sprach er zu ihnen: „Ihr Leute der Koraisch, Gott hat euch vom Eifer der Zeit der Unwissenheit (jahiliyya) und vom Väterstolz befreit. Die Menschen stammen von Adam und Adam ist aus Erde.“ Dann zitierte er aus dem Koran:

Ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennen lernt. Vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Gottesfürchtigste ist. Allah weiß Bescheid und hat Kenntnis von allem. (al-hujurat; 49; 13)

Dann stellte er den Koraisch die berühmte Frage: „Was erwartet ihr, das ich mit euch tun werde?“ Sie sagten: „Wir denken gut und wir sprechen gut! Ein edler Bruder und Sohn eines edlen Bruders!“ „Ich sage zu euch, was mein Bruder Josef zu seinen Brüdern sagte.“ antwortete er ihnen dann und zitierte die entsprechende Stelle aus dem Koran, die schon zu mekkanischer Zeit offenbart worden war:

Keine Tadel soll euch heute treffen. Gott verzeihe euch. Er ist der Barmherzigste aller Barmherzigen. (yusuf; 12; 92)

Dann fuhr er fort: „Geht, denn ihr seid frei!“ Daraufhin setzte er sich in die Moschee. Ali kam zu ihm mit dem Schlüssel der Kaaba in der Hand. Er selbst oder Abbas bat ihn um das traditionelle Wächter- und Tränkeamt der Kaaba. Doch der Prophet lehnte ab und ließ Utman bin Talha kommen, dessen Sippe dieses Amt innehatte. Er überreichte ihm den Schlüssel und sagte: „Heute ist ein Tag der Aufmerksamkeit und der Treue. Nehmt die Schlüssel in alten und neuen Ehren. Nur ein Übeltäter wird sie von euch nehmen wollen.“

Die Ansprache des Propheten und solche versöhnlichen Gesten taten ihre Wirkung. Als die Koraisch einst dem Propheten mit vergleichbarer zahlenmäßiger Übermacht gegenüber gestanden hatten, hätten sie ihn und seine Gemeinschaft am liebsten ausgelöscht. Aber er kam heute dennoch als der einstige Bruder zurück. Die Menschen, Männer und Frauen, kamen zu Hunderten zu ihm, um den Islam anzunehmen und ihm, dem Gesandten Gottes, die Gefolgschaft zu versprechen. Und sogar eine erbitterte Feindin wie Hind bint Utba, die Frau von Abu Sufian, die einst Hamzas Leiche geschändet hatte, kam zu ihm und erklärte ihm, dass ihr sein Sieg nun ebenso lieb war, wie sie sich zuvor seinen Untergang gewünscht hatte.

Bilal ruft „Allahu Akbar!“ von der Kaaba

Der Prophet ließ auch die Götzen, die zu Hunderten um die Ka’ba standen, zerstören. Die Menschen hatten den Glauben an sie nun verloren und niemand trauerte mehr um sie. Doch der großartigste und ergreifendste Moment war wohl, als Bilal auf die Ka’ba stieg, um den Adhan auszurufen. Bilal, der einstige farbige Sklave, der vor einem Jahrzehnt noch unter der Folterpeitsche der Oberhäupter der Stadt standhaft „Einer! Einer!“ geächzt hatte, stand nun hoch oben auf der Ka’ba selbst und rief von dort aus mit seiner schönen und starken Stimme zum Gebet: „Allahu akbar! La ilaha illa-llah. Muhammad rasulu-llah! – Allah ist größer! Kein Gott außer Allah! Muhammad ist Sein Gesandter!” Es war nicht nur ein unermesslicher Triumph, sondern auch die Versöhnung der Koraisch mit ihrem Propheten, mit ihren ausgewanderten Verwandten und Freunden – und mit sich selbst.
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[item title="Teil 22 - Der letzte Ansturm des alten Arabien"]
Der Prophet blieb nach dem Einzug in Mekka fast zwanzig Tage in der Stadt. Die Ansar, die „Helfer“ aus Medina, befürchteten schon, er würde jetzt für immer in Mekka bleiben, wo er sich nun mit seinem Volk versöhnt hatte. Als der Prophet aber davon hörte, sagte er ihnen: „Gott behüte! Das Leben ist bei euch und sterben will ich auch bei euch!“

Obwohl die Einnahme so eindrucksvoll vonstatten gegangen war und zu dem großen Heer von 10.000 Mann nun auch noch die Mekkaner mit einigen Tausend hinzukamen, beschlossen einige große benachbarte Stämme von Mekka selbstbewusst, gegen die Muslime aufzumarschieren: die mächtigen Hawazin und Thaqif und einige andere kleinere Stämme, darunter auch die Banu Bakr, die den Vertragsbruch der Koraisch provoziert hatten. Es war der letzte verzweifelte arabische Versuch, den endgültigen Sieg des Islam zu verhindern.

Uhud wiederholt sich

Die Muslime marschierten ihnen entgegen. Aber so wie damals zu Uhud, als kurzzeitiger Hochmut ihnen eine schwere Niederlage beschert hatte, erging es ihnen auch diesmal. Ihnen gefiel ihre militärische Stärke, sie glaubten an sich, statt auf Gottes Hilfe zu hoffen. So gerieten sie in dem schmalen Tal von Hunayn in den Hinterhalt der Feinde. Sie wurden mit Pfeilsalven überzogen und verheerend geschlagen. Wie damals zu Uhud ergriff heute die große Armee die Flucht und der Prophet blieb mit wenigen Männern zurück. Wie damals das erdrückende Gerücht vom Tod des Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, aus den Muslimen einen verzweifelt umherirrenden Haufen gemacht hatte, so mutmaßten einige Muslime auch diesmal, heute würde der Zauber des Propheten endgültig auffliegen.

Auch wenn der Glaube stark ist, so vermag die unmittelbar erfahrene Wirklichkeit ihn bisweilen zu erdrücken und ins Wanken zu bringen. Dies betraf nicht nur die „Neumuslime“, die sich in Mekka gerade erst mehr dem siegreichen Islam angeschlossen hatten als sich wie ihre Vorgänger in spiritueller und geistiger Ergriffenheit dem Allmächtigen zu ergeben. Auch die alten Muslime, die all die Jahre mit dem Propheten die Offenbarung empfangen hatten und den Islam in seiner Ganzheit verinnerlicht hatten, verloren die Orientierung. Nur sehr wenige hatten in diesen brenzligen Minuten den Mut der Gewissheit bewahrt. Und auch diesmal kommentierte der Koran diese Situation:

Gott half euch schon auf vielen Gefielden, und am Tag von Hunayn, als euch eure große Zahl gefiel – doch sie half euch nichts – und die Erde um euch eng wurde in ihrer Weite. Dann kehrtet ihr den Rücken. (at-tauba; 9; 25)

Vielleicht war diese Episode eine Lektion vor allem für die vielen neuen Muslime.

"Männer der Akazie!"

Von den mehr als 10.000 Kämpfern waren nur etwa einhundert auf dem Feld geblieben. Sie waren fast alle von den Muhajirun und Ansar. Es zeigte sich nun die unübertroffene Tapferkeit Muhammads, der inzwischen sechzig Jahre alt war. Gottes Segen und Frieden über ihn. Er ritt direkt auf die Feinde zu und rief die Muslime zu ihrem Propheten. „Wo sind die Leute der Akazie?“, lies er Abbas mit seiner gewaltigen Stimme rufen. Die Muslime waren an ihre schicksalhafte Stunde des „Treueids unter dem Baum“ erinnert und fassten sich ein Herz. Abu Sufian sah, wie der Prophet von seinem Reittier abstieg und Gott um Hilfe bat. Sie kam, ähnlich wie bei Badr: Heerscharen, die sie nicht sehen konnten und ihnen im Kampf beistanden. Erst dann gelang es, die Feinde zurückzudrängen und schließlich endgültig in die Flucht zu schlagen.

Als dann sandte Allah Seinen Frieden auf Seinen Gesandten und auf die Gläubigen herab und sandte Heerscharen hernieder, die ihr nicht saht, und strafte jene, die ungläubig waren. Das ist der Lohn der Ungläubigen. (at-tauba; 9; 26)

Die Beute von Hunayn

Jetzt flohen Hawazin und Thaqif und verschanzten sich in der Festung von Taif. Die Muslime verfolgten sie und belagerten sie mehr als zwei Wochen lang, aber ergebnislos. Der Prophet beschloss schließlich die Belagerung abzubrechen und begab sich zurück an jenen Ort, an dem die Angreifer in törichter Selbstüberhebung ihre Frauen und Kinder und alle ihre Kamele und Nutztiere zusammengebracht hatten. Sie hätten sie anspornen sollen – und wenn sie im Kampf unterliegen sollten, dann sollte alles dem Verlust preisgegeben werden. Der Prophet wartete lange mit der Aufteilung der Beute, in der Hoffnung, die Feinde würden sich wieder besinnen und ihre Frauen und Kinder und ihr Hab und Gut wieder zurückhaben wollen. Aber sie kamen nicht. Und so teilte der Prophet alles unter seinen Kämpfern auf.

Erst danach schickten die unterlegenen Angreifer ihre Gesandten und baten den Propheten um Nachsicht und Rückgewähr. Er versprach ihnen nichts, lies sie aber zwischen ihrem Vermögen und ihren Familien entscheiden. Als sie sich für letztere entschieden, sollten sie nach dem nächsten gemeinsamen Gebet ihre Bitte an die versammelten muslimischen Stämme richten. Er selbst würde ihre Bitte unterstützen. Als sie dies taten, verkündete der Prophet für sich und seine Sippe sein Einverständnis und die Ansar und Muhajirun folgten ihm intuitiv. Und auch die „neuen“ Muslime, die zunächst auf ihrem Recht beharrten, gelang es doch noch umzustimmen.
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[item title="Teil 23 - Die Sorge der Ansar um ihren Propheten"]
Der Prophet begegnet Habgier mit Großzügigkeit

Die Feinde hatten all ihren Besitz und ihre Familien zusammengeführt – und das war reichlich: 24.000 Kamele, 40.000 Schafe, 4.000 Silbermünzen sollen es gewesen sein – und 6.000 Menschenseelen. Als der Prophet mit der Aufteilung unter den versammelten Kriegern begann, meldeten sich als erstes die großen Koraischiten. Abu Sufian verlangte für sich einhundert Kamele. Der Prophet gewährte sie ihm. Dann verlangte er einhundert weitere für seinen Sohn Muawiya und noch einmal einhundert für seinen zweiten Sohn Yazid. Der Prophet gewährte sie ihm ebenfalls ohne Zögern. Dann teilte er weiter den neuen Muslimen unverhältnismäßig hohe Anteile an der Beute zu. Bald war die gesamte Beute verteilt. Die Mekkaner, die den Propheten einst vertrieben hatten, waren alle reichlich berücksichtigt worden. Auch Araber aus anderen Stämmen. Aber die Ansar, jene Leute, zu denen der Prophet geflohen war und die mit ihm ihre Stadt geteilt hatten, ja die ihr gesamtes Leben nach seinem Weg ausgerichtet hatten, waren durchweg ohne Zuteilung ausgegangen.

Kennt der Prophet nur noch sein Volk?

Auch wenn sie an den Propheten und die Sache Gottes glaubten, so waren sie doch tief enttäuscht und auch besorgt. Welche Bedeutung hatten sie jetzt für den Propheten, da seine ehemaliger Stammesverbund sich ihm angeschossen hatte? Welche Rolle spielten sie in seinen Plänen? Der Islam hatte zwar die Brüderlichkeit im Glauben der blinden Stammeszugehörigkeit entgegengesetzt, aber die alten Bindungen spielten noch immer eine große Rolle. Das war bei ihnen so und das war bei allen anderen Arabern, die sich dem Islam angeschlossen hatten auch so. Sie hatten die große Nachsicht des Propheten und seine versöhnlichen Gesten zu seinen Leuten in Mekka gesehen. Und nun sahen sie, wie er de Koraisch nicht nur übermäßig bevorzugt hatte, sondern auch, wie er auch sie selbst, die Aws und Khazraj, völlig ignoriert hatte. Es kamen ihnen vielleicht Erinnerungen an jene schicksalsträchtige Sitzung von Akaba, in der sie ihm die Treue geschworen hatten. Als sie nachfragten, ob er sie wieder verlassen werde, wenn die Koraisch sich ihm doch noch folgen sollten. Als sie fragten, was sie denn für ihre Leistung bekommen würden, und als sich auf seine lapidare Antwort „Das Paradies.“ einließen. Nun hatte sich sein Volk ihm angeschlossen. Und nun hatte er sie augenscheinlich vergessen.

Sie mussten ihren Gram und ihren Groll aussprechen und versammelten sich an einem Ort, wo sie untereinander waren. Sa’d bin Ubada, ihr khazrajitischer Anführer, ging besorgt zum Propheten und sagte zu ihm: „Gesandter Gottes, diese Leute der Ansar empfinden Unbehagen über deine Aufteilung der Beute. Du hast sie unter deinem Volk aufgeteilt und anderen Arabern auch davon gegeben. Aber sie sind leer ausgegangen.“ „Und du, Sa’d?“, fragte ihn der Prophet. „Gesandter Gottes, ich bin auch nur einer aus meinem Volk.“ Der Prophet wies ihn an, die Ansar zu versammeln.

"Ihr hättet Recht und man würde euch Recht geben."

Als er dorthin zu ihnen kam, eröffnete er seine Ansprache zu ihnen mit dem üblichen Dank an Gott. Dann sagte er: „Ihr Ansar. Was ist das für ein Gerede, das mich von euch erreicht hat, und für ein Grollen, das ihr gegen mich in euren Herzen hegt?“ Dann fuhr er fort: „Bin euch nicht zu euch gekommen, als ihr in der Irre wart, und Gott hat euch ins Licht geführt? War ihr nicht arm und hat euch Gott nicht reichlich gegeben? Wart ihr nicht Feinde und hat Gott eure Herzen nicht zusammengeführt?“ Sie antworteten: „Doch, doch, Gesandter Gottes. Und wir sind dafür dankbar.“ Es waren schwere Argumente des Propheten, Argumente, gegen die sie nichts einwenden konnten. Sie stellten sie still, aber sie haben an ihrem Befinden wahrscheinlich nichts geändert.

Es war aber der Prophet. Wenn er sie nicht berücksichtigt hatte, so hatte er sich selbst erst recht nicht berücksichtigt. Wenn sie ihr Leben Gott hingegeben hatten, so war er darin unverändert ihr Weggefährte. Was sie mit ihm vereinte entzog sich der irdischen Welt, und so konnten irdische Güter es auch nicht ins Wanken bringen. Er wusste, dass diese Gewissheit tief in ihnen gefestigt war, dass sie nur der Bestätigung bedurfte, der Vergewisserung. „Wollt ihr mir nicht antworten, ihr Ansar?“, fragte er, als von ihnen nichts kam. Doch womit sollten sie ihm antworten? Ihr Respekt vor dem Propheten war zu groß, als dass sich gegen den Pathos seiner Worte gewehrt hätten. Deshalb übernahm er für sie die Argumentation: „Bei Gott, seien wir doch ehrlich. Wenn ihr wolltet, ihr könntet sprechen, und ihr hättet Recht und man würde euch Recht geben: Ihr könntet sagen: Du wurdest verleugnet, als du zu uns gekommen bist, und wir haben dir geglaubt, du warst im Stich gelassen, und wir haben dich unterstützt, vertrieben und wir haben dich aufgenommen, bedürftig und wir haben dir getröstet.“ Dann kam er zum entscheidenden Punkt: „Ihr Ansar, seid ihr in euren Herzen denn verstimmt wegen weltlichem Ramsch, mit dem ich Leute für den Islam gewinnen wollte? Weil ich euch eurem Glauben überlassen habe? Seid ihr nicht damit zufrieden, dass die Leute mit Schaf und Maultier nach Hause gehen, dass ihr aber mit dem Gesandten Gottes heimkehrt? Denn bei dem, in dessen Händen mein Leben liegt, wäre nicht die Hijra, ich wäre einer von den Ansar. Und wenn die Leute einen Weg gingen, die Ansar aber einen anderen, ich ginge den Weg der Ansar.“ Dann wendete er sich zu Gott und betete: „O Gott, Deine Gnade für die Ansar, die Kindern der Ansar und die Kindeskindern der Ansar!“ Der Überlieferer dieser Geschichte berichtet, dass die Ansar nach dieser Ansprache des Propheten weinten, bis ihre Bärte von ihren Tränen feucht waren. „Wir sind glücklich mit dem Gesandten Gottes als unserem Anteil."
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[item title="Teil 24 - Tabuk"]
Der Prophet ernannte einen Gouverneur für Mekka und begab sich zusammen mit den Ansar und Muhajirun zurück nach Medina. Von dort aus schickte er nun Lehrer und Gesandte zu den verschiedenen Stämmen, die ihnen die Lehren des Islam überbringen sollten.

Als klar wurde, dass der Islam die Araber unter dem Glauben an den einen Gott geeint hatte und dass dadurch eine neue bedeutende Macht entstanden war, waren es jetzt die Großmächte, die auf den Plan rückten. Vor allem die Byzantiner fürchteten um den Abfall ihrer christlichen Vasallenstämme an den nördlichen Rändern der Halbinsel. Dem byzantinischen Kaiser war die negative Wirkung das Patts von Mu’ta nicht verborgen geblieben. Und so musste er aus geostrategischen Gründen seine Vormacht demonstrieren und die Macht des Islam eindämmen, wenn nicht sogar zerstören. Erfahrung bei solchen Auseinandersetzungen mit anderen Großmächten hatten sie bereits zur Genüge mit den Persern gesammelt, die sie nach langen Jahren und vielen Rückschlägen vor kurzem erst endgültig besiegt hatten.

Der byzantinische Kaiser mobilisierte zusammen mit einigen christlich-arabischen Stämmen eine große Armee von 40.000 Mann, die zu einem Feldzug ins arabische Kernland vorrücken sollte, wie ihn die Araber noch nicht gesehen hatten. Doch der Prophet entschied, wie er es in solchen Situation meistens getan hatte: er wollte sie gar nicht erst so weit kommen lassen. Er zog mit einem für arabische Verhältnisse gigantischen Heer von 30.000 Mann nach Tabuk im syrischen Einflussgebiet der Byzantiner und kam dem offenbar behäbigen feindlichen Heer zuvor. Die Wirkung blieb nicht aus. Die Feinde gingen auseinander, noch bevor sie sich recht zusammengeschlossen hatten.

Stattdessen suchten einige arabische und christliche Stämme von sich aus den Propheten in seinem dortigen Lager auf und schlossen mit ihm Friedensverträge, in denen sie seine Vormacht anerkannten, einschließlich der Abführung der jährlichen Djizya. Anscheinend war ihnen die Herrschaft des Propheten lieber als die des byzantinischen Reichs.

Das Jahr der Delegationen

Das Jahr nach Tabuk wird auch das Jahr der Delegationen genannt. Es war das Jahr, in dem von überall her Gesandtschaften zum Propheten kamen, Gottes Segen und Frieden über ihn, um für ihre Stämme die Annahme des Islam zu erklären und ihn um Lehrer zu bitten. Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen und aus den entferntesten Gebieten. Viele Araber hatten abgewartet, wie die Auseinandersetzung zwischen Muhammad und den Koraisch ausgehen würde und wollten sich ihm im Falle seines Sieges anschließen. Dabei spielte Opportunismus sicher eine Rolle, aber entscheidend dürfte eher ihr Aberglaube gewesen sein: Wenn die Götzen der Araber doch Götter waren, müssten sie den Koraisch beistehen. Siegte Muhammad, dann mussten sie tatsächlich nur Steinen huldigen und er Gottes Gesandter sein.

Auch die Christen aus dem weitläufigen Gebiet Najran zwischen Mekka und dem Jemen schickten eine große Gesandtschaft. Sie diskutierten lange mit dem Propheten und seinen Gefährten über theologische Fragen, vor allem um das Wesen Jesu. In diesem Zusammenhang wurden dem Propheten einige Verse der dritten Sure (aal imran) offenbart, zum Beispiel folgender:

Siehe, Jesus ist bei Gott wie Adam: Er erschuf ihn aus Erde. Alsdann sprach er zu ihm ‚Sei!’, und er war. (aal imran; 3; 59)

Oder:

Sprich: Ihr Leute der Schrift, kommt herbei zu einem gemeinsamen Wort: Dass wir keinem anderen dienen außer Gott, Ihm nicht beigesellen und wir uns nicht gegenseitig zu Göttern nehmen neben Gott. (aal imran; 3; 64)

Der Prophet rief sie zur Annahme des Islam auf. Doch sie lehnten ab. Die Auseinandersetzung um die Wahrheit war beiden Seiten sehr ernst, so dass die Christen einige Tage blieben. Ihre Gebete verrichteten sie derweil in der Moschee. Sie schlossen schließlich mit dem Propheten einen Schutzvertrag, nachdem sie die Schutzsteuer (Djizya) entrichten mussten und dafür den Schutz der islamischen Gemeinde hinter sich wissen konnten.

Eine sehr große Delegation von mehreren Hundert Menschen kam aus dem Jemen. Sie skandierten „allahu akbar“ und „la ilaha illa llah“, als sie eintrafen. Sie werden beschrieben als „feinfühlig, großherzig, liebenswürdig von großer Spiritualität“. Der Prophet freute sich sehr. In Zusammenhang mit diesem Ereignis wir die Offenbarung der 110. Sure erwähnt:

Wenn die Hilfe Allahs kommt und der Sieg, und du die Menschen in Scharen in die Religion Allahs eintreten siehst, dann lobpreise deinen Herrn und bitte Ihn um Vergebung! Er ist gewiss der, der die Reue gnädig annimmt. (an-nasr; 110; 1-3)

In sehr kurzer Zeit hatte die gesamte Halbinsel entweder den Islam angenommen oder war wie die Christen von Najran Teil des neuen Staates geworden. Arabien war von nun an kein loses Gefüge von Beduinenstämmen, Handelsstädten und Palmenoasen mehr, sondern ein zusammenhängendes Staatsgebiet.
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[item title="Teil 25 - Muhammad, Gottes Diener und Gesandter"]
Wer die Geschichte Muhammads liest, gewinnt möglicherweise den Eindruck, dass sein Leben aus einer langen Kette von von Ereignissen im Rahmen der Auseinandersetzung mit denen, die seine Botschaft für sich nicht annehmen und auch für andere nicht zu dulden wollten: Politik, Krieg und Diplomatie. Doch wenn wir den Koran lesen oder in den Sammlungen seiner vielen tausend überlieferten Aussagen und Erlebnisse blättern, ist unser Eindruck ein ganz anderer: Sein Leben war durch und durch von der spirituellen Hingabe an den Einen Herrn, von der Verkündung der Tugend, dem Gebet mit seinen Gefährten in der Moschee und allein in der Nacht geprägt.

Ein Freund mit Humor

Er erzählte seinen Gefährten Geschichten von den früheren Propheten, erklärte ihnen den Koran, redete ihnen ins Gewissen und sprach mit ihnen über ihre alltäglichen Probleme. Er konnte auch vor Zorn erröten und man sah ihm an, wenn ihm etwas missfiel. Er grüßte gerne zuerst, und lächelte und scherzte gerne mit seinen Gefährten. Er hatte einen Sinn für Humor aber er lachte eher selten und zurückhaltend. Wenn man dabei sogar seine Eckzähne sehen konnte, dann war es immer etwas so Besonderes, dass die Überlieferer es ausdrücklich erwähnten. Er war vor allem geliebt und seine Gesellschaft war die schönste Gesellschaft, in der man seine Zeit zubringen konnte.

Wie alle Ehemänner dieser Welt hatte auch Muhammad mal Streit mit seinen Frauen, einmal hielt er sich sogar einen Monat lang von ihnen fern. Auch wenn er sich in private Familienangelegenheiten nur in Ausnahmefällen direkt einbrachte, so lebte er doch ein „schönes Zusammensein“ mit seinen Frauen vor. Seine Kleider flickte er gerne selbst und wenn er zuhause war „war er im Dienst seiner Familie“, machte also bei der Erledigung des Haushalts mit, eben „bis die Zeit des Gebets kam, dann begab er sich in die Moschee.“ Mit seiner geliebten Frau Aischa lief er einmal in der Moschee ein Wettrennen, und sie, flink und viel jünger als er, besiegte ihn sogar. Und als einige Heuchler einmal Aischa verleumdeten, wusste auch er nicht recht, was er von der Sache halten sollte. Eine düstere Stimmung, ein erdrückendes Unbehagen legte sich einen Monat lang über die gesamte Stadt, bis die Offenbarung selbst Aischa freisprach. Aischa nahm ihm dies natürlich übel. Für sie war es keine Entschuldigung, dass ihr Ehemann das Verborgene ja auch nicht kannte. Aber einem Menschen vergibt man auch, und welchem Menschen sollte sie vergeben, wenn nicht Muhammad?

Ein liebvoller Vater und Großvater

Er weinte still, als sein kleiner Sohn Ibrahim bald nach seiner Geburt schon starb. Und sein Herz erfüllte sich vorübergehend mit Hass, als er sah, dass die Feinde die Leichen seiner Gefährten geschändet und die Leber seines geliebten Onkels Hamza herausgerissen hatten. Seine Liebe zu seiner verstorbenen Frau Khadija konnte er zeitlebens nicht vergessen. Seine Enkelkinder stiegen ihm gerne auf den Rücken, während er im Gebet seine Stirn auf den Bode legte – auch in der Moschee. Er besuchte gerne seine Base Umm Hani, um seinen Kopf zum Mittagschlaf in ihren Schoß zu legen und sich dabei lausen zu lassen. Und vielleicht war seine größte Niederlage jene, dass sein geliebter Onkel, der ihn als Waise geliebt und umsorgt und als Gesandten vor den Mächtigen der Koraisch in Schutz genommen hatte, in seinen Händen verstarb ohne das Bekenntnis zu dem Einen Gott auszusprechen.

Ein bemerkenswerter geistiger Wandel

Die Gemeinschaft, die er „erzog“, war in jeder Hinsicht beeindruckend und bemerkenswert. Sie beteten viel und waren dennoch bodenständig und ganz von dieser Welt. Sie machten jeder für sich einen Wandel durch, wie ihn die wenigsten Menschen in ihrem Leben überhaupt durchmachen. Männer, die zuvor ihre Töchter bei lebendigem Leibe begruben, wurden sanft und gottesfürchtig und weinten viel. Sie waren nachdenklich und besorgt um ihr Schicksal im Jenseits. Vielleicht war nie zuvor oder danach eine ganze Gemeinschaft so intensiv mit dem Leben nach dem Tod beschäftigt.

In den dreiundzwanzig Jahren seines Wirkens als Gesandter verkündete er den Koran und machte damit ein ganzes Volk, das des Lesens und Schreibens nicht kundig war, zu einer Gesellschaft, deren Alphabetisierungsrate sich wahrscheinlich gut und gerne mit der moderner Gesellschaften vergleichen lassen könnte. Ein Volk, das geprägt war von Stammesfehden und heißblütiger Torheit wurde von heute auf morgen zu einer zivilisierten Gesellschaft. Was der Prophet damals in der Zeit der Verfolgung in Mekka dem Khabbab in Aussicht stellte und sich wie ein Hirngespinst anhörte, trat tatsächlich ein: „Allah wird diese Sache zu Ende führen, bis der Reiter von Sana’a bis Hadramaut wird reisen können, ohne sich vor etwas zu fürchten, außer vor Allah und dem Wolf um seine Schafe.“ Sana’a und Hadramaut befinden sich beide im weit entfernten Jemen und entzogen sich damals der Erfahrungswelt der meisten Mekkaner.

Eine Gesellschaft, die, wie die meisten anderen Gesellschaften der Welt, dem Alkohol durchaus erlegen war, wurde in dieser Zeit weitgehend nüchtern – das hat es in der Menschheitsgeschichte nie wieder gegeben. Ehebruch und Unzucht verschwanden fast vollständig aus dem Alltag, aber Sexualität und Liebe zwischen Männern und Frauen blieben für beide Geschlechter eine selbstverständliche Sache, die man gerne genoss. Die wichtigsten Aspekte der Scheidung wurden geregelt ebenso wie das Erbrecht und das Vergeltungsrecht, und zwar in einer Art und Weise, die mit dem Gerechtigkeitsgefühl der Menschen damals in völligem Einklang war.

Werte, für die er stand

Sklaven wurden zu Menschen erklärt, die gut zu behandeln waren, deren Freilassung und Freikauf eine fromme Tat waren – in den folgenden Jahrhunderten verschwand so die Sklaverei weitgehend aus der muslimischen Gesellschaft, ohne das es dafür blutiger Aufstände und ihrer noch blutigeren Niederschlagung bedurfte. Tiere waren nicht mehr der Willkür des Menschen ausgeliefert, sondern durften nur sinnvoll und auf möglichst schmerzlose Weise getötet werden. Auch Lasttiere hatten einen Anspruch auf angemessene Behandlung und Barmherzigkeit: „Seid barmherzig zu denen auf der Erde, so erbarmt sich der im Himmel eurer.“ Als er eine aufgebrachte Vogelmutter sah, mit der sich seine Gefährten einen Spaß erlaubt hatten, indem sie ihr ihre Küken weggenommen hatten, ging ihm dies unter die Haut und er fragte sie zornig: „Wer hat ihr mit ihren Kindern diesen Schrecken eingejagt? Gebt ihr ihre Kinder zurück!“

Doch die Regeln spielten allem Anschein nach nur eine nebensächliche Rolle. Sie waren von Gott und wurden von den Herzen verinnerlicht. Zwar standen harte Strafen auf Vergehen gegen einige Gebote, aber es kam fast nie zum Ausspruch dieser Strafen, weil das Gewissen die wichtigste und stärkste „Regierung“ dieser Gemeinschaft war. Und nicht die Gebote und Verbote, sondern die Tugenden waren ihre wichtigsten Regeln: Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Redlichkeit, Verantwortlichkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Respekt – und Ergebenheit zu dem Einen Souverän, dem Erschaffer des Universums.
Andacht und Demut und tiefe Gläubigkeit waren es, die das Bild der medinensischen Gemeinschaft bestimmten: Ging man in der Nacht durch die Gassen der Stadt, vernahm man ein Summen wie in der Nähe von Bienenstöcken: Männer und Frauen wachten da in der Moschee und zuhause und rezitierten den Koran im Gebet oder flehten zu Gott, manche vernehmbar, manche still für sich. Und immer wieder das ergriffene Schluchzen vor Gott, dem Erhabenen und Gnädigen. Und tagsüber ertönte in regelmäßigen Abständen der Ruf des Muezzin und in den folgenden Minuten schwollen die Straßen und Gassen wie Bäche an, die in der Moschee zusammenflossen.

Macht und Bescheidenheit

Er war mächtiger als je ein Herrscher vor oder nach ihm – denn die Menschen gehorchten ihm aus Liebe – doch blieb er immer ein einfacher, umgänglicher Zeitgenosse. Ein kleines Mädchen konnte kommen und ihn aus seiner aktuellen Gesellschaft herausreißen, weil sie gerade etwas in ihren Augen sehr wichtiges auf dem Herzen hatte. Und wenn es darum ging, Essen vorzubereiten, übernahm er gerne seinen Teil und ging zum Beispiel Brennholz sammeln. Und auch der Koran behandelte ihn mitunter als fehlbaren Menschen und tadelte ihn, wenn er Fehler beging. So zum Beispiel als er sich einmal in der Hoffnung, die Herzen einflussreicher Männer für den Glauben zu gewinnen, von einem blinden Glaubensbruder abwendete.

Muhammad war und blieb zeitlebens ganz und gar Mensch: „Verherrlicht mich nicht wie die Christen den Messias, den Sohn der Maria, verherrlichten, sondern sagt Diener Gottes und Sein Gesandter.“ Er war nichts lieber und keine Bezeichnung war ihm gefälliger als „Diener Gottes“. Keine Tätigkeit liebte er mehr als das Gebet, keine Gesellschaft war ihm lieber als die Gottes, und in ihr verbrachte er nach seiner Berufung wohl den größten Teil seines Lebens. Vor allem betete er nachts sehr lang. Einmal sah Aischa, dass seine Füße vom vielen langen Stehen im Gebet Risse in der Haut bekommen hatten, und fragte ihn, warum er sich das antue: „Hat Gott dir denn nicht deine vergangenen und künftigen Fehler vergeben?“ Er antwortete, vielleicht mit einem glücklichen Lächeln: „Soll ich denn kein dankbarer Diener sein?“
Dies entspricht eher dem Gesamtbild, das man von Muhammad gewinnt, wenn man den Koran und die vielen Überlieferungen über ihn liest.

Kein romantischer Pazifist

Natürlich hat Muhammad auch politisch und militärisch eine großartige Leistung vollbracht, aber wenn man den göttlichen, wundersamen Anteil hiervon abzieht, wird er durchaus vergleichbar mit anderen historischen Leistungen dieser Art – oder doch nicht ganz? Muhammad baute unter Umständen ein Reich auf, das nach allen soziologischen und geopolitischen Erkenntnissen der modernen Nachwelt nie hätte entstehen können.

Und es war ein Reich, das, mit Ausnahme vielleicht der genannten jüdischen Stämme, keine Unterworfenen und Unterwerfer kannte. Muhammad war kein romantischer Pazifist, was damals sicher weltentrückt gewesen wäre, und predigte auch keinen Pazifismus. Stattdessen lebte er vor, wie ein notwendiger Waffengang zivilisiert und nach den Regeln der Verhältnismäßigkeit zu führen war, er mahnte zu Rücksicht gegenüber Unbeteiligten und zu Menschlichkeit gegenüber Gefangenen. Und wenn Versöhnung und Vergebung möglich waren, war dies immer die beste und nachhaltigste Lösung von Feindseligkeiten. Er war aber auch ein strategischer Visionär. Es ging ja um nichts Geringeres als um den Islam, Gottes letzte Botschaft an die Menschheit. Sie ist zwar zuvorderst eine Botschaft der Spiritualität, Tugend und Moral. Sie aber den wechselnden Interessen von Kapital, Aristokratie und Tyrannei preiszugeben ist weder ethisch geboten, noch für ihren geistig-spirituellen Fortbestand notwendig. Es hätte vielmehr ihren sehr frühen Untergang bedeutet und wäre wohl nichts weiter als einfältige Frömmlichkeit gewesen.

Ethik und Menschenwürde

Es galt der Menschheit zu zeigen, dass Ethik nicht nur ein schöngeistiges Postulat sein muss, wegen dessen Beachtung die so genannten Gutmenschen dieser Welt mal respektiert, mal belächelt werden. Auch kein ideologischer –ismus und keine revolutionäre Idee, die in größenwahnsinnigen Tragödien münden und den Menschen mehr Unheil und Entfremdung von sich selbst bringen als Ethik und Gerechtigkeit. Es war zu zeigen, dass Ethik, Tugend und Geistigkeit durchaus mit dieser Welt vereinbar sind und damit der Mensch für sie durchaus verantwortlich ist.
Der Prophet Muhammad predigte Menschenwürde nicht nur, sondern sie war für ihn ein heiliges, d.h. unantastbares Gut auch im wirklichen Leben. Menschenrechte, Minderheitenrechte und Rechtsstaatlichkeit waren, ohne in komplizierten, nur für Juristen durchschaubaren Gesetzeswerken, ausformuliert zu sein, selbstverständlich und auch gegen die höchsten geistigen und politischen Repräsentanten einklagbar – eben auch für Juden und Christen und auch gegen ihn selbst.

Ein Prophet auf dem Zenith der Macht

Sein persönliches Verhältnis zur Macht unterscheidet den Propheten, Gottes Segen und Frieden über ihn, schließlich auch von den allermeisten Figuren der Weltgeschichte, die zu großer Macht aufstiegen: Ihn korrumpierte die Macht nicht. Weder vor noch nach seiner Berufung war sie ihm ein persönliches Anliegen. Und als dann nach der Eroberung Mekkas die arabischen Stämme aus allen Gebieten der Halbinsel ihre Delegationen nach Medina schickten, um die Annahme des Islam zu erklären, fasste die Sure 110 seinen persönlichen Anteil an diesem Triumph am besten zusammen:

Wenn die Hilfe Allahs kommt und der Sieg, und du die Menschen in Scharen in die Religion Allahs eintreten siehst, dann lobpreise deinen Herrn und bitte Ihn um Vergebung! Er ist gewiss der, der die Reue gnädig annimmt. (an-nasr; 110; 1-3)

Langsam kündigte sich nun das Ende dieser Episode der Menschheitsgeschichte an, der Episode der letzten Botschaft des Himmels zu den Bewohnern der Erde, des letzten und edelsten der Gesandten Gottes, das Ende der wunderbaren Prophetentradition von Adam über Noah, Abraham, Jakob, Josef, Hud, Salih, Moses, Jesus und Muhammad. Als der Prophet seinen Gefährten Muad bin Jabal in den Jemen schickte, um ihn dort zu vertreten, sagte er ihm beim Abschied, dass er ihn vielleicht nicht mehr treffen würde. Auch andere Bemerkungen von ihm sollten die Menschen um ihn herum immer mehr auf den letzten Abschied vorbereiten.
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[item title="Teil 26 - Der Prophet verabschiedet sich von dieser Welt"]
Es war jenes Leben eines gottergebenen, dankbaren und sehr viel betenden Menschen, dem noch eine Station der Bezeugung der Ergebenheit an Gott, den Einen, fehlte: Die große Wallfahrt nach Mekka, die Hajj. Im Jahre 10 n.H. (März/April 632 n.Chr.) war es endlich soweit. Der Prophet machte sich mit einer großen Schar von Gläubigen Männern und Frauen auf den Weg, diesen letzten Pfeiler des Islam, die fünfte rituelle Pflicht zu erfüllen.

Die Abschiedswallfahrt

Er rief die Muslime von überallher zusammen, sich zu dieser noch nie da gewesenen Menschenversammlung in Mekka einzufinden. Und sie kamen zu vielen Tausenden. Berichte sprechen von 100.000 Menschen, die an diesem unvergleichlichen spirituellen Ereignis teilnahmen, das sich fortan ohne den Propheten jährlich wiederholen und beständig wachsen würde. Und auch diesmal sagte er zu den Leuten: „Nehmt von mir die Regeln dieses Ritus [schaut mir genau zu], denn ich weiß nicht, ob ich euch nach diesem Jahr noch mal begegnen werde.“ Aber nur die wenigsten seiner Gefährten, auch der engsten unter ihnen, verstanden dies als Ankündigung seines nahenden Abschieds. Zu schön war seine Gegenwart. Zu unvorstellbar seine Abwesenheit. Sie verdrängten alle Anzeichen für diesen kommenden schwierigen Moment.

Was ist heilig?

Vom Hügel Arafa – und noch mal an anderen Stationen der Wallfahrt – hielt er bewegende Reden vor den Versammelten und sprach einige der wichtigsten Punkte seiner Botschaft noch einmal an: Seid einander gute Geschwister, werdet nach mir nicht zu Ungläubigen, die sich gegenseitig die Köpfe abschlagen, lasst ab vom Wucher, seid gut zu euren Frauen und – vor allem – vergesst nicht, dass ihr eines Tages vor eurem Herrn stehen werdet und Verantwortung für euer Tun tragen müsst. „Was für ein Tag ist dieser Tag?“ fragte er. Die Menschen schwiegen, bis er selbst die Stille unterbrach: „Es ist ein heiliger Tag! – Und was für ein Ort ist dieser Ort?“ Wieder Schweigen. „Es ist ein heiliger Ort!“ – „Und was für ein Monat ist dieser Monat? – Es ist ein heiliger Monat!“ Dann fuhr er fort: „Euer Blut, euer Vermögen und eure Würde sind euch gegenseitig ebenso heilig wie dieser Tag an diesem Ort in diesem Monat!“ Und in dem immer präsenten Bewusstsein, eine Aufgabe in diesem Leben gehabt zu haben, eine Pflicht, nach der er eines Tages gefragt werden würde, schloss er seine Predigt mit einer ernsten Frage: „Ihr werdet nach mir gefragt werden. Was werdet ihr sagen?“ Sie antworteten ihm: „Wir werden bezeugen, dass du überbracht und ausgehändigt und gut beraten hast.“ Daraufhin erhob er seinen Zeigefinger zum Himmel und wiederholte dreimal: „Oh Gott, so sei Zeuge hierfür!“ Auf dieser Wallfahrt wurde ihm einer der letzten Verse des Koran offenbart:

Heute habe Ich euch euren Glauben vollendet und habe Ich meine Gnade an euch verwirklicht und Mein Wille ist, dass der Islam euer Glaube sei. (al-maida; 5:3)

Die letzte Erkrankung des Propheten

Gegen Ende des Monats Safar des Jahres 11 n.H. (Mai 632 n.Chr.), also zwei Monate nach der Abschiedswallfahrt, erkrankte der Prophet. Sein endgültiger Abschied vollzog sich in zwei Wochen. Die ersten elf Tage fühlte er sich noch kräftig genug, zu jedem Gebet in die Moschee zu gehen und es als Imam zu leiten. Er rief die Leute noch einmal zu sich und legte ihnen das tägliche Gebet und den Koran ans Herz. Dann wies er an, die sechs oder sieben Dirham, die sich in seinem Besitz befanden, zu spenden. Er bat die Leute, sich zu melden, wenn er ihnen irgend etwas schuldete.

„Oh Gott, in die höchste Vereinigung!“

Einmal sprach er während dieser Tage auf der Kanzel von einem Mann, der vor die Wahl zwischen den Schlüsseln des Diesseits und der „höchsten Vereinigung“ (wörtl.: dem höchsten Gefährten) gestellt worden sei. Dieser Mann habe sich für die höchste Vereinigung entschieden. Nur Abu Bakr schien diese Botschaft verstanden zu haben und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Die letzten Tage vor seinem Tod musste der Prophet liegen bleiben und bat seine Frauen um ihre Erlaubnis, diese Zeit bei Aischa zu bleiben. Seine Tochter Fatima kam einmal zu ihm und küsste ihn. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und sie weinte. Dann flüsterte er ihr noch einmal etwas zu, und sie lächelte. Später wurde sie gefragt und sie sagte, dass er ihr beim ersten Mal gesagt hätte, dass er bei dieser Krankheit sterben würde, beim zweiten Mal hätte er ihr gesagt, sie würde ihm als erste folgen. Fatima überlebte ihn nur um einige Monate. Bei einem weiteren Besuch ihres Vaters weinte sie und sagte: „Oh Vater, dein Schmerz!“ Er lächelte und sprach zu ihr: „Deinen Vater trifft nach diesem Tag kein Schmerz mehr.“

Er lies seine Enkel Hassan und Hussain zu sich kommen und verabschiedete sich von ihnen. Auch seine Frauen versammelte er noch einmal alle zum Abschied um sich. Einmal fühlte er sich dann doch kräftig genug und lies sich neben Abu Bakr setzen, den er als Imam in seiner Vertretung eingesetzt hatte. Der Prophet führte das Gebet fort und die Menschen folgten ihm.
Ein weiteres Mal lies er sich zur Tür seiner Wohnung helfen, die nur durch einen Vorhang von der Moschee getrennt war. Er beobachtete die Gläubigen, die sich in der Verrichtung des Morgengebets befanden und lächelte glücklich. Dann lies er sich wieder hinlegen. Eine seiner letzten Aussagen war: „Das Gebet, das Gebet, und seid gut zu euren Sklaven.“

Seine letzten Worte waren Gebete zu Gott: „Zusammen mit den Propheten und den Aufrichtigen und den Märtyrern und den Rechtschaffenen. Gott vergib mir und erhebe mich in die höchste Vereinigung! Oh Gott, in die höchste Vereinigung!“ Dies war am 12. Rabi’ Awwal im Jahre 11 n.H. (8. Juni 632 n.Chr.)

„Wer zu Muhammad gebetet hat, Muhammad ist nun gestorben!“

Die ungeheure Nachricht drang nach außen. Die Menschen konnten es nicht fassen und waren von Trauer bedrückt. Anas, ein junger Mann und enger Begleiter des Propheten, sagte: „Ich habe keinen helleren und schöneren Tag erlebt als jenen seiner Ankunft in Medina und keinen dunkleren und traurigeren als den seines Todes.“
Selbst Omar schien von der Schwere der Kunde benommen zu sein und erklärte den Leuten in der Moschee, er sei zu seinem Herrn nur in der Weise gegangen, wie einst Moses auf den Berg gegangen war. Und er werde wiederkommen und die Heuchler, wie er sagte, die diese Nachricht verbreiteten, zur Rechenschaft ziehen. Abu Bakr hingegen begab sich in die Wohnung seiner Tochter Aischa und sah die Wahrheit mit eigenen Augen. Dann begab er sich in die Moschee und bat die Leute um Ruhe. Doch Omar wollte nicht schweigen. Erst als Abu Bakr Gottes Einheit sprach, wendeten sich die Menschen von Omar ab und hörten ihm zu. Dann überbrachte er ihnen die endgültige Gewissheit: „Wer Muhammad gedient hat, Muhammad ist nun gestorben. Wer Gott gedient hat, Gott ist lebendig und stirbt nicht.“ Dann rezitierte er eine Stelle aus dem Koran:

Muhammad ist nur ein Gesandter. Vor ihm sind schon die Gesandten dahingegangen. Wenn er nun stirbt oder getötet wird, werdet ihr dann auf euren Fersen kehrt machen? (aal imran; 3; 44)

Erst beim Vernehmen dieser Stelle des Koran, die sehr wohl kannten, sie nahmen die Leute die schmerzliche Wahrheit an. Ibn Abbas erzählt, den Leuten war, als hätten sie diesen Vers zum ersten Mal gehört. Und sie hätten ihn immer wieder vor sich hergesagt. Und Omar sagte: „In dem Augenblick, als Abu Bakr diesen Vers rezitierte, war mir klar, dass es stimmte. Meine Beine wurden schwach und ich ging zu Boden.“
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Quelle: islam.de

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